, Kinderhospiz

Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Dusche mich. Ich ziehe mich an. Gehe den Gang runter. Dann links.

Josef ist wach. Mein Josef ist wach. Herzfrequenz 131. Sauerstoffsättigung 97. Ich nehme ihn vorsichtig aus dem Bett. Die Schwester kommt. Ich frage nach der Nacht. Sie sagt, Josef hat durchgeschlafen. Er war stark verschwitzt. Keine Besonderheiten. Sonst.

Gut, sage ich. Gut. Die Schwester bereitet die Inhalette vor. Ich inhaliere Josef. Sauge ihn ab.

Die Ärztin kommt. Möchte Blut abnehmen. Zusammen gehen wir ins Pflegebad. Die Schwester hat schon das Wasser eingelassen. Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Überlasse ihn den Händen der Ärztin. Sie spricht mit ihm. Es geht ganz schnell, sagt sie. Es stimmt. Ganz schnell.

Dann ist sie fertig. Sie hört ihn ab. Sagt, er ist ein wenig obstruktiv. Ordnet ein Inhalationsschema an. Wir verabschieden uns. Ich lasse Josef in die Wanne gleiten. Er ist angespannt. Ich nehme ihn wieder aus der Wanne. Trockne ihn ab. Öle ihn ein. Ziehe Josef vorsichtig an.

Uli ist da. Ist bei uns. Wir umarmen uns. Wir sind still. Miteinander. Wollten sprechen. Nun haben wir doch keine Worte.

Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Die Gäste werden gebracht. Die Eltern kommen. Schwester. Pfleger. Therapeuten. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Nach dem Frühstück fahren wir los. Mit Josef. Zur Osteopathin.

Meine Augen. Meine Konzentration. Sind die ganze Zeit auf Josef gerichtet. Er schläft. Josef schläft. Die ganze Fahrt. Wir sind da. Werden gleich in das Behandlungszimmer geführt. Wir erzählen. Über die letzten Wochen. Finden Worte.

Sie hört zu. Ist bei uns. Es tut gut. Die Worte. Wie sie fließen. Das Unaussprechliche gesprochen wird. Die Angst vor dem Tod. Wir schon dachten, er stirbt. Wieder einmal. Immer wieder denken, er stirbt. Sie hört zu. Unsere Worte.

Dann berührt sie Josefs Kopf. Gleitet mit ihren Händen über seinen Rücken. Sagt, ich spüre so viel Leben. In Josef. Ist viel Leben. Sie meint es ernst. Möchte uns nicht nur trösten. Kein falscher Trost. Josef schläft dabei. Die ganze Zeit. Er ist entspannt. Hat kaum Körperspannung.

Nach der Behandlung gebe ich Josef seinen Mittagsbrei. Medikamente. Tee.

Wir fahren wieder los. Ins Kinderhospiz. Meine Augen sind auf Josef gerichtet. Die ganze Zeit.

Im Kinderhospiz. Ich packe meine Waschtasche. Verabschiede mich. Von Josef. Von Uli. Wir umarmen uns. Ich küsse Josef. Halte ihn. Dann eile ich. Zur Bahn.

Ich sitze in der Bahn. Nehme die Menschen um mich gar nicht wahr.

Vom Bahnhof laufe ich schnell zum Hort. Klara kommt mir gleich entgegen. Wir umarmen uns. Lange. Ich küsse sie aufs Haar. Wir laufen an der Straße entlang. Hand in Hand. Sie hüpft und springt.

Zu Hause mache ich ihr einen Kakao. Mir einen Kaffee. Von der Schule mag sie nicht erzählen. Gut war es. Alles gut, sagt sie. Hausaufgaben hat sie auch schon fertig gemacht. Ich lasse sie mir zeigen. Sie hat es wirklich gut gemacht. Wieviel habe ich überhaupt mitbekommen? Von der Schule? Denke ich.

Kaum etwas. Von ihren Freundinnen. Kaum etwas. Kein Platz in mir. Ich muss Platz schaffen. Für Klara. Für ihre Themen. Platz muss her. Platz. In mir. Für Klara. Einatmen und Ausatmen.

Klara und ich spielen. Kuscheln. Zum Abendessen gibt es Nudeln. Mit Pesto.

Uli ruft an. Spricht mit Klara. Dann reden wir. Er sagt, Josef ist angespannt. Er hat Temperatur. Hat schon Ibuprofen bekommen. Nun schläft er, unser Josef. Wir fehlen uns, sagen wir. Umarmen uns durchs Telefon. Sehen uns ja morgen. Wir alle.

Klara und ich schauen fern. Es ist ganz ruhig in unserer Wohnung. Für uns beide ist die Wohnung fast zu groß. Ich lese Klara vor. Wir kuscheln. Dann mache ich ihr das Hörspiel an.

Ich setze mich ins Wohnzimmer. Bin dann doch unruhig. Gehe durch die Wohnung. Sie ist ruhig. Die Wohnung. Verlassen. Fast. Kein Uli. Kein Josef. Kein Piepen des Monitors. Kein Rauschen der Inhalette. Keine Schwestern. Kein Türklingeln.

Ich gehe in die Küche. Mache mir einen Tee. Setze mich an den Küchentisch. Schaue aus dem Fenster. Einfach nur aus dem Fenster. Trinke den heißen Tee. Spüre, wie er heiß die Speiseröhre hinunterläuft. Den Magen wärmt. Spüre mich.

Dann gehe ich ins Bett. Kann nicht schlafen. Versuche, zu lesen. Kann nicht lesen. Schlafe ein. Irgendwann. War es da schon hell?

Zuletzt aktualisiert am: 29.09.2020


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