, Zu Hause 2
Um 7.00 Uhr klingelt der Wecker. Ich habe geschlafen. Bis jetzt. Tief und fest. Ich stehe auf. Höre die Tür klappern. Warte noch ein wenig bis ich ins Bad gehe. Einatmen und Ausatmen.
Es ist ruhig. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Schaue in den Spiegel. Ich sehe eingefallen aus. Esse zu wenig. Sorge zu wenig für mich. Kaltes Wasser in mein Gesicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee.
Gehe in Josefs Zimmer. Die Tür knarrt. Josef liegt in seinem Bett. Herzfrequenz 120. Sauerstoffsättigung 98. Alles gut, denke ich. Alles gut. Die Schwester steht bei ihm. Sagt, er ist gerade wieder eingeschlafen. Ich lege meine Hand auf seinen Kopf. Seinen schönen Lockenkopf. Küsse ihn. Küsse seinen schönen Lockenkopf.
Josef hat fast durchgeschlafen, sagt die Schwester. Das Sekret ist etwas zäh. Kein Fieber. Keine Krämpfe. Die Vitalwerte waren im Normbereich. Gut, sage ich. Gut. Die Schwester verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.
Ich lasse die Tür offen. Gehe in die Wohnküche. Hole mir einen Kaffee. Es ist ganz ruhig auf dem Schulhof. Es hat fast etwas Gespenstisches. Diese Ruhe. In der Woche lebt der Schulhof und am Wochenende schläft er. Der Schulhof. Die Schule. Ein schlafendes Gebäude. Ein schlafender Raum.
Uli kommt zu mir. Kommt zu uns. Josef schläft noch. Mein schöner Josef. Schlaf, mein Josef. Schlaf. Klara schaut fern, sagt Uli. Gut, sage ich. Gut. Wir setzen uns zu Josef. Auf das Sofa der Pflegekräfte. Das Pflegekräftesofa. So fühlt es sich an. Weil der Raum nicht mehr wirklich zu uns gehört. Nur halb oder viertel. Es ist das Josefpflegezimmer.
Sobald die Pflegekräfte weg sind, öffnen wir die Tür zu unserer Welt. Dann ist Josef ganz und gar bei uns. Sonst teilen wir Josef. Mit der anderen Welt. Der Pflegewelt. In der alten Wohnung war Josef und die Pflegewelt Teil unseres Wohnzimmers. Ungewollt nahmen so viele fremde Menschen teil. An unserer Welt. Saßen in unserem Wohnzimmer. Das war zu dicht. Viel zu dicht.
So ist es schon gut, mein Josef. Oder? Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Weil ich denke, dich auszuschließen, mein Josef. Aus unserer Welt. Josef wird wach. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich schalte den Monitor aus. Nehme Josef aus seinem Bett. Küsse ihn. Immer diese Küsse, mein Josef. Davon kann ich dir nicht genug geben. Sie müssen doch reichen. Für später. Für mich. Für später. Muss doch vorküssen.
Uli deckt den Frühstückstisch. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Küsse ihn. Immer wieder. Wie schön du doch bist, mein Josef. Wie schön. Wir frühstücken. Klara im Schlafanzug. Wir sind still miteinander. Hören Radio. Das Sonntagsrätsel. Josef schlummert wieder in seinem Therapiestuhl ein. Ich verstelle den Stuhl in eine halbe Liegeposition. Josef bekommt eine Mütze auf. Wird dick eingekuschelt. Uli schiebt ihn ans Fenster. Frischlufttherapie. Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen.
Der Tag vergeht. In seinem Sonntagsrhythmus. Inhalieren. Absaugen. Medikamente geben. Tee. Kuscheln. Lagern. Kuscheln. Klaras Mappe kontrollieren. Am Nachmittag gehen wir spazieren. Eine Runde. Eine Gartenrunde. Durch die Gartenanlage. Josef in seinem Kinderwagen. Klara mit ihrem Fahrrad.
Am Wegesrand sehen wir eine Verpackung von einem Katheter. Müssen lachen. Die Kinderhospizkinder hinterlassen ihre Spuren. Wie gesunde Kinder ihre Schnuller verlieren. Auf dem Rückweg gehen wir ins Kinderhospiz. Kurz vorbeischauen. Stärkende Worte abholen. Gute Laune.
Klara ist zusammen mit den Geschwisterkindern im Kinderhospiz verschwunden. Wie gut. Sie haben hier einen geschützten Raum. Dürfen sein. Es macht mich leichter. Zu wissen, dass Klara gut aufgehoben ist. Getragen wird. Hier an diesem Ort. Sein darf. Sich nicht erklären muss. Einfach nur sein darf.
Gegen 18.00 Uhr gehen wir nach Hause. Klara kommt mit. Ist schon verabredet für das nächste Wochenende. Ist ja klar. Josef geht es gut. Heute. Josef, geht es dir gut? Mein Josef. Er ist entspannt. Schläft ab und zu. Wird inhaliert. Abgesaugt.
Zu Hause essen wir Abendbrot. Die Kinder gehen in die Wanne. Klara mit Taucherbrille. Josef genießt es. Klara auch. Wir erst. Uli nimmt Josef aus der Wanne. Gibt ihn mir. Ich trockne Josef ab. Öle ihn ein. Küsse ihn. Dann schauen wir zusammen fern. Josef liegt auf mir. Mit jedem Atemzug entspannen wir. Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht ihr das Hörspiel an.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir erzählen ihr vom Tag. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 98. Alles gut. Alles gut. Wir gehen ins Bett. Schlafen.
Zuletzt aktualisiert am: 27.02.2021