, Zu Hause 2
Es klopft an der Tür. Ich bin wach. Hellwach. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Es ist hell draußen. 5.00 Uhr. Ich öffne die Tür. Die Schwester hält Josef im Arm.
Er ist ganz schlapp. Seine Atmung zieht sehr. Ich nehme ihn. Küsse ihn. Wir gehen ins Josefs Zimmer. Sie fragt, ob sie Josef Cortison geben darf. Sie hat ihn schon mehrfach inhaliert. Schmerzmedikamente hat er bekommen. Sein Zustand verbessert sich nicht, sagt sie.
Uli kommt. Wir beschließen, Josef Cortison zu geben. Er schläft wieder ein. Unser Josef. Die Schwester sagt, es war eine ganz eigenartige Nacht. Josef war entweder unruhig oder entspannt. Die Vitalwerte schwankten stark. Er hatte kein Fieber, sagt sie. Okay, sage ich. Okay.
Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Herzfrequenz 130. Sauerstoffsättigung 98. Ich küsse Josef. Dann gehen wir ins Schlafzimmer. Ich ziehe mich um. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht.
Schwebejosef, denke ich. Schwebejosef. Mir laufen leise Tränen. Ich bin froh, im Bad zu sein. Geschützt. Einatmen und Ausatmen.
Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Es ist mild heute. Die Sonne lässt sich blicken. Muttertag. Heute ist Muttertag. Einatmen und Ausatmen.
Ich schreibe eine Nachricht. An meine Seminarkollegin. Josef schwebt, möchte ich schreiben. Kann nicht kommen. Wir schweben doch. Schreibe dann, kann nicht kommen. Josef geht es nicht gut.
Der Schulhoffuchs. Auch heute sehe ich ihn nicht. Ob er noch hier lebt? Oder ist er umgezogen? Ich gehe in Josefs Zimmer. Mit meinem Kaffee. Die Schwester möchte keinen. Geht ja gleich ins Bett.
Josef schläft. Herzfrequenz 128. Sauerstoffsättigung 97. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Wir sprechen noch eine Weile. Über Josef. Über sie. Über uns.
Dass wir froh sind. Miteinander. Froh über das Vertrauen. Froh, nicht allein zu sein. Weder sie. Noch wir. Sie verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.
Uli kommt zu uns. Wir sitzen bei Josef. Er schläft. Unser Schwebejosef schläft. Seine Vitalwerte sind stabil. Das Cortison hilft.
Ich bin müde. Spüre die Müdigkeit und die Aufregung. Alles auf einmal. Einatmen und Ausatmen. Uli deckt den Frühstückstisch. Holt Brötchen vom Bäcker. Klara schaut fern.
Josef schläft. Ich gebe ihm ein wenig Morgenbrei über den Bauchschlauch. Tee. Medikamente.
Alle zwei Stunden lagere ich Josef um. Er kann sich nicht bewegen. Seine Lage nicht selbstständig verändern. So wie wir es machen. Nacht für Nacht. Wenn wir uns vom Bauch auf den Rücken legen. Oder auf die Seite.
Das kann Josef nicht. Das müssen wir machen. Auch, damit sich das Sekret nicht in der Lunge festsetzt.
Gegen 11.00 Uhr wird Josef wach. Ich schalte den Monitor aus. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Küsse ihn. Wie schön er doch ist. Der Josef.
Um 12.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir kennen sie gut. Überlassen ihr Josef. Beschließen, mit Klara einen Ausflug zu machen. Zu laufen. Um einen kleinen See zu laufen. Wir fahren los. Sind da. Laufen. Bewegen uns. Atmen.
Zwischendurch rufe ich die Schwester an. Sie sagt, die Vitalwerte schwanken stark. Sie gibt Josef ein Schmerzmittel. Okay, sage ich. Okay. Wir sind bald wieder da. Lasst euch Zeit, sagt sie. Erlaubt euch die Zeit. Den Abstand. Danke, sage ich. Danke. Weiß, sie hat recht.
Wir laufen. Atmen. Klara hüpft und springt. Hält durch. Ohne schlechte Laune. Dann fahren wir zurück. Wie wichtig es war. Abstand zu gewinnen. Zu sortieren. Was gehört zu Josef? Was zu mir?
Josef schwebt. Ich schwebe nicht. Josef löst sich ab. Von dieser Welt. Ich bin hier. Verankert. Ich kann Josef halten, wenn ich immer wieder Abstand nehme. Wenn ich mich selber zusammensuche. Einfange. Im Hier bin. Es aushalte, im Hier und Jetzt zu sein.
Dafür brauche ich den Abstand. Die Bewegung. Das bewusste Atmen. Das Spüren. Das bin ich. Das ist Josef.
Zu Hause. Josef schläft. Herzfrequenz 112. Sauerstoffsättigung 95. Ich küsse ihn. Die Schwester sagt, Josef war entweder unruhig oder entspannt. Es gab kein Dazwischen.
Uli ruft das SAPV-Team an. Schildert. Beobachten. Schmerzmedikamente geben. Und immer anrufen. Ja, sagt Uli. Ja. Und danke.
Die Schwester verabschiedet sich. Zusammen essen wir Abendbrot. Josef wird wach. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Wir schauen Kinderfernsehen. Ich bringe Klara ins Bett. Lese ihr vor. Mache das Hörspiel an. Josef liegt auf Uli. Vater und Sohn. Bauch an Bauch. Das ist schön.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Uli legt Josef ins Bett. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 92. Wir gehen ins Bett. Schlafen.
Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021