, Kinderhospiz

Der Wecker. Klingelt um 7.00 Uhr. Ich schalte ihn aus. Bin wach. Schon lange. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Schaut mich an. Mit ihren niedlichen Katzenaugen. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht.

Sollen wir fahren? Ans Meer? Jetzt? Drei Nächte. Ohne Josef. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Der Fuchs. Läuft über den Schulhof. Ich freue mich. Einatmen und Ausatmen.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Josef, mein Josef. Er schläft. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 98. Die Schwester sitzt auf dem Sofa. Dokumentiert. Ich frage nach der Nacht.

Josef hatte eine ruhige Nacht, sagt sie. Kein Fieber. Vitalwerte im Normbereich. Keine sichtbaren Krämpfe. Viel Sekret. Das Sekret war weißlich. Gut, sage ich. Gut. Die Schwester räumt. Spült aus. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Ich streichele Josefs Locken. Küsse ihn. Mir laufen Tränen. Uli kommt. Streicht mir über den Rücken. Nimmt mich in den Arm. Klara schaut fern. Es ist ja Wochenende. Josef wird wach. Ich schalte den Monitor aus. Nehme ihn vorsichtig aus seinem Bett. Küsse ihn.

Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Wir sind still. Heute. Ich packe Josefs Sachen. Für das Kinderhospiz. Dann reden wir. Mit Josef. Sagen, wir fahren ans Meer. Für vier Tage. Josef. Du machst Urlaub im Kinderhospiz. Am Dienstag sind wir wieder da.

Uli küsst seinen Sohn. Hält ihn. Josef atmet gleichmäßig. Rauschend und gleichmäßig. Seine Augen sind halb offen. Und dann spüre ich, wir dürfen fahren. Spüre. Josef wäre es zu viel. Diese Reise. Er wird gut aufgehoben sein im Kinderhospiz. Aufgehoben und getragen.

Und wir. Klara, Uli und ich. Wir werden Energie mitbringen. Meeresenergie, mein Josef. Für uns. Mein Josef. Für uns. Mir laufen Tränen. Es schmerzt.

Josef schwebt. Schwebt mehr denn je. Vor einem Jahr waren wir zusammen am Meer. Weißt du noch, mein Josef. Jetzt. Jetzt geht es nicht mehr. Jetzt hat sich das Fenster geschlossen. Einer Meeresreise mit dir. Jetzt nehmen wir dich innerlich mit. Atmen für dich mit. Werden unsere Lungen mit Meeresluft füllen. Für dich.

Ich packe unsere Sachen. Wir frühstücken. Josef in meinem Arm. Ich gebe ihm seinen Morgenbrei durch den Bauchschlauch. Küsse ihn. Küsse vor. Josef, mein Josef.

Dann gehen wir ins Kinderhospiz. Die Hauswirtschaftsfrau ist da. Begrüßt uns. Sagt, da seid ihr ja wieder. Wir lachen. Umarmen uns. Fahren in den zweiten Stock. Ganz hinten links.

Uli packt aus. Ich halte Josef in meinem Arm. Die Schwester kommt zu uns. Wir kennen uns. Kennen uns gut. Josef kennen sie gut. Er gehört dazu. Wir gehören dazu. Zur Kinderhospizfamilie.

Klara ist verschwunden. Im Garten mit den Geschwisterkindern. Ich gebe Josef seinen Mittagsbrei. Küsse ihn. Dann verabschieden wir uns. Küsse. Küsse. Und Küsse. Tränen auch.

Die Schwester nimmt ihn in den Arm. Und ich weiß. Josef wird gut getragen. Gehalten. Er ist hier gut aufgehoben. Wir fahren los. Sind still. Es ist sommerlich warm. Uli macht ein Hörspiel an. Für Klara. Mir laufen Tränen.

Wir sind da. Werden herzlich empfangen. Bekommen Sekt. Obst. Ein kleines Appartement. Für Josef wäre Platz gewesen, denke ich. Und weiß doch, für ihn wäre es zu viel. Zu viel. Zu viel.

Es wäre unser Wunsch. Mein Wunsch. Ich habe nicht das Recht dazu. Denke ich. Ich habe nicht das Recht dazu, Josef etwas aufzuzwingen. Nur weil ich es mir wünsche. Einatmen und Ausatmen.

Ich rufe im Kinderhospiz an. Frage. Alles gut, sagt die Schwester. Sie sind gerade im Garten. Im Hintergrund höre ich Josef atmen. Bin berührt. Ich rufe heute Abend nochmal an. Ja, sagt die Schwester. Ja. Genießt euren Urlaub. Danke, sage ich. Danke. Dann gehen wir ans Meer.

Klara rennt. Rennt. Rennt und rennt. Schreit. Weint. Ich fange sie ein. Versuche es. Sie kämpft. Mit mir. Mit sich. Sie ist voll. Voll von Gefühlen. Sie bahnen sich ihren Weg. An diesem Abend. Am Meer. Irgendwann sackt sie zusammen.

Ich halte Klara. Mir laufen Tränen. Uns laufen Tränen. Ich wiege sie in meinem Arm. Wie ein kleines Kind. Uli ist bei uns. Die Sonne verschwindet langsam. Im Meer. Uli ruft im Kinderhospiz an. Alles gut.

Wir gehen ins Appartement. Klara hat ein eigenes Zimmer. Im oberen Bereich. Ein traumhaftes Bett. Sie schläft gleich an. Vor Erschöpfung. Uli und ich sitzen lange auf dem Balkon. Sind still. Reden dann. Gehen ins Bett. Schlafen traumlos.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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