, Kinderhospiz
Um 8.00 Uhr werde ich wach. Traumlos. Schon wieder ohne Traum. Ich schaue auf mein Telefon. Kein Anruf. Zum Glück. Uli ist wach. Klara kommt. Kuschelt sich zu uns. Klara fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja.
Ich stehe auf. Gehe auf den Balkon. Das Meer. Sonne. Wärme. Es ist fast surreal. Ich rufe im Kinderhospiz an. Frage nach der Nacht. Josef hat gut geschlafen. Vitalzeichen in der Norm. Keine Krämpfe. Viel Sekret. Sie sind beim Frühstück.
Und wie geht es euch, fragt die Schwester. Gut, sage ich. Gut. Das Meer so schön. Es ist schön hier. Und doch, sage ich, und doch. Ich vermisse Josef. Ja, sagt sie. Es geht ihm gut hier, Anne. Ich weiß, sage ich. Das weiß ich doch.
Genieße deinen Urlaub, sagt sie. Schöpfe Kraft. Die wirst du brauchen. Ja, sage ich. Ja. Ich. Wir versuchen es. Küsse, sage ich dann. Küsse für Josef. Die Schwester lacht. Sagt, natürlich Anne. Natürlich. Küsse für euren Josef. Wir legen auf.
Uli kommt mit dem Kaffee auf den Balkon. Wir schauen auf das Meer. Sind still. Reden leise. Bedacht und leise. Wir ziehen uns an. Gehen zum Frühstück. Fühlen uns heute schon etwas sicherer. Wir sitzen lange. Schauen auf das Meer. Essen.
Es tut mir gut. Uns gut. Nichts machen zu müssen. Nur hier zu sein. Sich nicht zu kümmern. Nur zu sein. Nach dem Frühstück fahren wir los. In ein Seebad. Gehen spazieren. In der Stadt. Die vielen Menschen. Verirren uns etwas im Hinterland. Tauchen dann wieder auf.
Gehen ans Meer. Stürzen uns in die Fluten. Spüren die Kälte. Das Salz. Die Kraft. Den Sand unter den Füßen. Sammeln Steine. Muscheln. Für Josef. Für uns. Sagen, hört ihr. So hört sich Josef an. Wie das Rauschen des Meeres. Ganz kraftvoll. So hört er sich an. Manchmal noch. Manchmal.
Wir sitzen lange. Am Meer. Sehr lange. Klara badet immer wieder mal. Läuft ins Meer. Kommt wieder. Ich wickele sie in ein Handtuch. Ihre Haut ist kalt und nass. Ihr nasses Haar tropft auf meine Arme. Auf meine Schultern.
Uli läuft am Strand. Rauf und runter. Als müsste er sein angestautes Inneres verlaufen. Umwandeln in Schritte. An diesem Meer. Auf und Ab. Auf und Ab. Er hat ein Aufnahmegerät mit. Nimmt das Meer auf. Das Meeresrauschen. Für Josef. Für uns.
Dann gehen wir ins Hotel. Klara wärmt sich auf. In ihrem Bett. Schläft ein. Wir trinken Kaffee. Setzen uns auf den Balkon. Reden. Etwas lauter. Flüstern nicht. Wer soll uns denn hier hören? Und was macht es schon? Es hat doch keine Konsequenz.
Wir reden. Über Josef. Über uns. Darüber wie. Darüber was. Was wir uns wünschen. Wenn Josef stirbt. Wer soll da sein? Bei uns. Wen lassen wir zu uns? In diesem Moment. Wer. Wer darf dabei sein? Finden Worte. Für das Unaussprechliche. Das Unerhörte. Der Pfleger. Unsere Freundin. Noch eine Freundin. Eine Arztfreundin.
Und für Klara? Wir werden sie fragen. Nachher. Schmerzhaft ist es. Schmerzhaft. Gleichzeitig fühle ich mich ruhiger. Habe das Gefühl, etwas Kontrolle darüber zu gewinnen. Über das Sterben. Mich vorzubereiten. Auf die Situation. Damit sie nicht über mich hereinbricht.
Und dann. Dann denke ich, geht das denn? Kann ich mich auf das Sterben vorbereiten? Wie auf eine Geburt. Sterbevorbereitungskurs? Einatmen und Ausatmen.
Vor Wochen hätte ich noch nicht einmal gewagt, so konkret daran zu denken. Nicht gewusst, wie ich die Gedanken aushalten soll. Und nun. Nach der schweren Krise. Führt uns Josef. Immer weiter führt er uns. Bringt uns Nahe. Wie es sein kann. Vielleicht. Wie es sein wird. Unweigerlich.
Er führt uns heran. Zeigt uns. Lässt uns spüren. Mutiger werden. Im Sprechen darüber. Im Planen. Im Spüren. Was wir brauchen. Vielleicht. In der Sterbesituation. Lässt uns etwas Kontrolle gewinnen. Gestaltungsraum. Aus der Erstarrung in Bewegung kommen. Lässt uns durchschmerzen. Jetzt schon. Jetzt schon.
Klara kommt zu uns. Setzt sich auf meinen Schoß. Kuschelt sich an mich. Wir reden. Mit Klara. Fragen, wie es für sie war. In der Krise mit Josef. Was sie sich wünscht, wenn es wieder so sein sollte. Wer bei ihr sein soll. Sie überlegt nicht lange. Sagt, die Familienbegleitung. Gut, sage ich. Gut.
Sobald wir zu Hause sind, werde ich ihnen schreiben. Unseren beiden Freundinnen, der Familienbegleitung und dem Pfleger. Werde sie fragen, ob sie. Wenn es soweit ist, zu uns kommen. Uns halten. Josef halten.
Wir gehen essen. Sitzen lange. Klara hat ihr Buch mit. Wir genießen es. Trinken Wein. Essen köstlichen Fisch. Gehen noch einmal ans Meer. In das Appartement. Schlafen Traumlos.
Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021