, Zu Hause 2
Vor dem Weckerklingeln bin ich wach. Schalte ihn aus. Fühle mich durchschmerzt und dumpf. Ob es noch da ist? Das Kind? Was heißt da ist? Ob es noch lebt? Die Tür klappert. Ich warte. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich.
Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich spüre es heute nicht. Ich bin taub. Irgendwie taub. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt, kuschelt sich an mich. Ich küsse sie auf ihren Kopf. Einatmen und Ausatmen.
Dann fragt sie mich. Ob wir schon was wissen. Von dem Kind. Nein, sage ich. Nein. Ich halte Klara. Eine ganze Weile in meinem Arm. Uli kommt. Setzt sich zu Klara an den Tisch. Ich gehe in Josefs Zimmer. Josef, mein Josef. Er schläft. Herzfrequenz 112. Sauerstoffsättigung 94.
Die Schwester steht bei ihm. Gibt ihm Medikamente und Tee über den Bauchschlauch. Ich küsse Josef. Streichele seine schönen Locken. Josef, mein Josef. Seine Atmung klingt etwas angestrengt. Sie zieht beim Einatmen. Ich frage nach der Nacht.
Die Schwester sagt, er war sehr unruhig. Sie musste ihn zweimal extra inhalieren. Kein Fieber. Keine sichtbaren Krämpfe. Die Vitalwerte waren im Normbereich. Gut, sage ich. Gut.
Klara geht los. Los in die Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.
Ich stehe bei Josef. Höre auf seinen Atem. Er zieht und knistert leicht. Seine Vitalwerte sind gut. Ich inhaliere Josef. Uli saugt ihn vorsichtig ab. Es klingelt. Die Schwester. Ich lasse sie mit Josef allein. Bitte darum, mich zu rufen, wenn Josef wach wird.
Uli und ich. Wir gehen auf den Balkon. Atmen. Einatmen und Ausatmen. Es ist bedeckt heute. Die Kinder sind in der Schule. Es ist still. Nur die Bäume rauschen. Wir halten uns. Uli und ich. Wie es dem Kind wohl geht? Und den Eltern? Den Geschwistern? Einatmen und Ausatmen.
Die Schwester ruft. Josef ist wach. Er ist angestrengt. Sein ganzer Körper. Nicht nur die Atmung. Ich nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. Guten Morgen, mein Bär. Die Schwester inhaliert Josef. Saugt ihn ab.
Ich ziehe ihn vorsichtig um. Küsse ihn. Auf seinen Bauch. Seine Brust. Seine Füße. Seine Hände. Für Küsse, mein Josef, ist immer Zeit. Für Küsse.
Es klingelt. Die liebe Logopädin. Ich setze Josef in den Therapiestuhl. Er streckt sich. Ich nehme ihn in den Arm. Die Logopädin begrüßt Josef. Mit ihren Händen. Arbeitet sich bis zu seinem Mund vor.
Josef reagiert. Schmerzen, denke ich. Zähne. Wahrscheinlich Zähne. Backenzähne. Die er nicht braucht. Einatmen und Ausatmen. Sie verabschiedet sich.
Josef. In meinem Arm. Ich sitze auf dem Sofa. Halte ihn. Die Schwester sitzt vor mir auf dem Kissen. Wir reden nicht. Mir ist nicht nach Worten. Heute. Ich gebe Josef vorsichtig seinen Morgenbrei. Tee. Medikamente. Er entspannt sich in meinem Arm.
Seine Augen schließen sich halb. Dann öffnen sie sich wieder. Mit einem leichten Zucken. Krämpfe? Leichte Krämpfe. Seine Atmung ist knisternd ziehend. Vitalwerte in der Norm. Kein Fieber. Zum Glück. Ich lege Josef in sein Bett. Schließe die Tür.
Gehe kurz raus. Gehe zum Kinderhospiz. Eine Kerze brennt nicht. Im Foyer. Es lebt, denke ich. Überlege. Soll ich hochgehen? Fragen? Oder nicht? Entscheide mich dagegen.
Zu Hause. Uli und ich. In der Wohnung. Uli telefoniert. Mit den Versorgern. Und dem Rehatechniker. Am Freitag wird das Lagerungskissen für Josef geliefert. Der Rehabuggy erst später. Ich fühle mich wie in Watte. Ganz dumpf nehme ich alles nur wahr. Josef ist wach. Inhalation. Absaugen.
Es klingelt. Die Physiotherapeutin. Sie ist ganz aufgelöst. Erzählt von dem sterbenden Kind. Es lebt. Noch. Die ganze Familie ist da. Geschwister. Eltern. Großeltern. Sie dreht und wendet Josef. Bis er wieder einschläft. Legt Josef ins Bett. Dann ist sie wieder weg. Lässt ihre Betroffenheit bei uns. Ich hole Klara ab. Vom Hort. Sie kommt gleich mit.
Zu Hause. Tee. Kaffee. Kakao. Kekse. Die Schwester verabschiedet sich. Josef, in meinem Arm. Ich küsse ihn. Seine Atmung. Inhalation. Absaugen. Küssen. Ich lege Josef über meine Knie.
Es klingelt. Die Familienbegleitung. Sie gehen in Klaras Zimmer. Sind leise miteinander. Uli, Josef und ich. Wir gehen spazieren. Eine Gartenrunde. Dann am Kinderhospiz vorbei. Es brennt keine Kerze.
Zu Hause. Die Familienbegleitung verabschiedet sich. Wir essen Abendbrot. Zusammen. Kinderfernsehen. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Ich lege ihn mir auf meine Brust. Wir atmen. Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef vorsichtig in sein Bett. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 95. Wir gehen noch einmal los. Kinderhospiz. Keine Kerze. Gehen nach Hause. Ins Bett.
Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2021