, Zu Hause 2

Ich bin wach. Liege im Bett. Schaue nach draußen. Das Licht der Schule scheint in unser Fenster. Ich schalte den Wecker aus. Ich bin hellwach und müde zugleich. Spüre nach. Die letzten Tage. Wochen.

Spüre, wie angestrengt ich bin. Erschöpft. Wie sehr es mich anstrengt, offen zu sein. Zu den neuen Schwestern. Mich zu öffnen. Wie vorsichtig ich bin. Am liebsten wären wir allein. Mit Josef. Das geht nicht.

Josef, mein Josef. So schwer krank. Das schaffen wir nicht. Mir laufen Tränen. Vor Erschöpfung. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Einatmen und Ausatmen.

Schaue auf den Schulhof. Kinder. Springende Kinder. Ich bin noch gar nicht hier. Noch nicht angekommen. Finde mich noch nicht wirklich zurecht. Mit den neuen Menschen. Den neuen Wegen. Neuen Geräuschen. Neu. Neu. Neu. Kraft. Kraft. Kraft. Es kostet Kraft.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Die Tür knarrt. Gar nicht so schlecht, denke ich. Dann erschreckt sich die Schwester wenigstens nicht, wenn ich plötzlich in das Zimmer komme. Josef liegt im Arm der Schwester. Ganz eingekuschelt. Überhaupt ist es sehr gemütlich in Josefs Zimmer.

Ich frage die Schwester nach der Nacht. Josef schlief fast durch, sagt sie. Gegen Mitternacht war er wieder wach. Zuckte mit dem Kopf. Es hörte wieder auf, als sie mit ihm gekuschelt hat. Vitalwerte sind im Normbereich. Kein Fieber. Gut, sage ich. Gut.

Ich nehme Josef. Küsse ihn. Die Schwester ist ruhig. Ihre ruhige Art beruhigt mich. Tut mir gut. Sie spült die Inhalette aus. Die Absaugbehälter. Wechselt die Spritzen aus. Fragt, ob sie die Medikamente aufziehen soll. Ja, sage ich. Ja. Danke, sage ich auch. Danke. Sie verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Josef und ich. Wir setzen uns zu Klara. Sie isst ihre Cornflakes. Wir schauen alle auf den Schulhof. Sind ganz still. Ganz gefangen von den Bewegungen auf dem Hof. Klara geht los. Los in die Schule. Wir winken ihr nach. Aus Josefs Zimmer.

Um 8.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Sage ihr, die PEG ist in Ordnung. Reizlos. Lässt sich bewegen. Gut, sagt sie. Gut. Ich erkläre ihr. Sage, es ist nicht so, dass ich es dir nicht zutraue, Josef umzuziehen. Es ist so, dass es für mich etwas ganz Besonderes ist. Meinen Josef umzuziehen. Es ist ein ganz intimer Moment. Mein Kind umzuziehen. Deshalb, sage ich.

Ist das in Ordnung für dich, frage ich sie. Ja, sagt sie. Einatmen und Ausatmen. Ich gebe ihr Josef. Meinen schönen Josef. Sie ist behutsam mit ihm. Beobachtet ihn genau. Deutet. Sagt, Josef dreht den Kopf, weil er dich hört. Ich korrigiere. Sage, nein. Das wäre schön. Er kann nicht hören. Weiß, sie meint es gut. Weiß doch darum.

Wer weiß, sagt sie. Wer weiß. Vielleicht lernt er es noch. Ich spüre Traurigkeit in mir. Wut auch. Kann sie nicht mehr hören. Die gut gemeinten Sätze. Ratschläge. Josef, mein Josef. Ich atme ein und aus. Schüttele den Kopf. Wechsle das Thema.

Um 9.40 Uhr klingelt es. Die Physiotherapeutin. Ist heute etwas später da. Und in Eile. Sie spürt nach Josefs Sekret. Legt ihn auf seinen Bauch mit angewinkelten Beinen. Josef schläft ein. Sofort. Sie verabschiedet sich. Die Physiotherapeutin. Ich lasse Josef bei der Schwester.

Um 12.00 Uhr klingelt es. Das SAPV-Team. Josef ist wach. Ich nehme ihn in meinen Arm. Der Arzt untersucht Josef. Josef ist angespannt. Seine Atmung rauscht. Mehr als gestern. Wir sollen beobachten, sagt er. Dann lachen wir. Das machen wir doch schon sein ganzes Leben.

Dann fragt die Schwester nach dem Notfallplan. Ich zeige ihr den Plan. Auch die Empfehlung in Notfallsituationen. Dort steht: keine Beatmung. Mehr.

Die Schwester sagt. Aber. Wenn Josef nicht atmet, weil etwas anderes ist. Ich verstehe sie nicht. Sie kann sich nicht erklären. Der Arzt sagt, die Eltern haben sich dazu entschieden. Keine Beatmung. Sie sagt, sie möchte das im Team besprechen.

Ich bin ganz durcheinander. Verstehe nicht. Der Arzt auch nicht. Einatmen und Ausatmen. Das SAPV-Team verabschiedet sich.

Ich frage die Schwester, was sie meint. Sie erklärt, wenn Josef wegen einem Medikament als Reaktion nicht mehr atmet oder aus Reflex. Dann muss sie ihm doch helfen. Das besprechen wir mit dem SAPV-Team, sage ich. Sagt Uli.

Ich hole Klara vom Hort. Die Schwester verabschiedet sich. Geht heute früher. Es ist ja Freitag.

Wir sind allein. Ich fühle mich ohnmächtig. Wütend. Traurig. Verstehe nicht. Unsere Entscheidungen werden in Frage gestellt.

Oder sind wir fahrlässig, Uli? Haben wir nicht gut genug bedacht? Sind wir schlechte Eltern? Oder geht es um die Schwester? Um die Angst? Was ist, wenn Josef nicht mehr atmet? Geht es um das Thema Schuld? Einatmen und Ausatmen.

Sie kennt uns doch noch gar nicht, Uli. Sie kennt uns doch nicht. Und Josef auch nicht. Richtig. Der Nachmittag verfliegt. Wir drehen uns im Kreis. Uli ruft das SAPV-Team an. Fragt nach. Was könnte die Schwester meinen. Der Arzt erklärt, wahrscheinlich meint die Schwester Atemaussetzer nach Medikamentengabe. Das kann passieren. Aber ob Josef geholfen wäre, ist fraglich.

Haben wir etwas übersehen, frage ich. Nein, sagt der Arzt. Wir sind da. Wir halten. Aus. Danke, sage ich. Fühle mich wieder sicher.

Wir bringen Klara in unser Bett. Uli liest uns vor. Wir hören Hörspiel. Josef schläft auf meiner Brust.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir kennen sie. Aus dem Kinderhospiz. Ganz vertraut. Wir sprechen lange. Mit ihr. Über das Thema. Josef schläft. Schlaf, mein Josef. Schlaf. Ich stehe an seinem Bett. Habe meine Hand auf seinem Kopf. Dann gehen wir ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 29.01.2021


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