, Zu Hause 2

Ich bin wach. Schalte den Wecker aus. Mein Herz schmerzt. Fühlt sich an wie eingeklemmt. Zwischen zwei Schraubstöcken. Einatmen und Ausatmen.

Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Einatmen und Ausatmen.

Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Sehe den Schulhoffuchs nicht. Es ist bedeckt. Regnet nicht mehr. Pause vom weinenden Himmel. Pause vom Weinen.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Er ist wach. Mein Josef ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Ich nehme ihn. Küsse ihn. Josef, mein Josef. Seine Atmung zieht.

Frage die Schwester nach der Nacht. Unruhig, sagt sie. Unruhig. Mehrfach hat sie Josef inhalieren müssen. Kein Fieber. Keine sichtbaren Krämpfe. Ich küsse Josef. Immer wieder. Wer weiß, wie lange ich es noch kann. Denke ich.

Ich küsse Josef wieder. Versuche den Gedanken wegzuschieben. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Uli kommt. Wir sind still. Öffnen die Fenster. Ich halte Josef. Dann nimmt Uli Josef. Inhaliert ihn. Saugt ihn ab. Ich zünde eine Kerze an. Klara kommt zu uns. Kuschelt sich an mich. Fragt, ob sie fernsehen kann. Ja, sage ich. Ja. Es ist Wochenende.

Klara kuschelt sich wieder in unser Bett. Sieht fern. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Bin ganz bei ihm. Spüre seinen warmen Körper. Küsse seinen Bauch. Seinen Mund. Seine Nase. Seine Stirn. Seine Hände. Seine Füße. Wer weiß, wie lange noch? Einatmen und Ausatmen.

Uli deckt den Frühstückstisch. Geht dann los. Brötchen holen. Kommt wieder. Sagt, die Kerze brennt noch. Das Kind ist noch da. Das heißt es. Vielleicht können wir es noch einmal sehen? Und verabschieden. Vielleicht?

Wir frühstücken. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Dann gehen wir los. Josef im Kinderwagen. Absauge dabei. Medikamente. Tee.

Wir gehen ins Kinderhospiz. Treffen einen Vater. Er war gerade im Abschiedsraum. Wir fragen, ob wir dürfen? Ja. Wir dürfen. Einatmen und Ausatmen.

Uli öffnet die Tür. Es duftet nach Lilien. Wir gehen durch den Vorraum. Dann zu dem Kind. Es ist zugedeckt. Eine Kerze brennt. Blumen. Ich lege einen kleinen Stein zu dem Kind. Ein Abschiedsstein.

Die Zeit bleibt stehen. In dem Moment steht sie. Die Zeit. Josef läuft eine Träne über die Wange. Eine Träne. Eine Abschiedsträne. Ich halte Josef. Küsse ihn. Uli hält Klara. Dann spüren wir. Jetzt ist es genug. Gehen.

Gehen wieder ins Leben. Gehen aus dem Kinderhospiz. Laufen. Laufen und laufen. Gartenrunde. Heide. Park. Kommen wieder an.

Zu Hause. Sind still. Erfüllt und still. Dankbar. Für den Abschied. Hätte nicht gedacht, dass es sich so anfühlt. Richtig anfühlt. Warm anfühlt. Sich von dem Kind zu verabschieden. Noch einmal bei ihm zu sein.

Das hätte ich nicht gedacht. Kann ich denn Gefühle denken? Gefühle vordenken? Vorerwarten? Muss ich nicht erst in der Situation sein, um zu spüren, was ich fühle? Kann ich mich vor Gefühlen schützen? Indem ich sie vermeide? Nein. Denke ich. Und würde mich manchmal doch gern schützen. Vor dem Schmerz. Tee. Kaffee. Kuchen.

Eine Kerze brennt. Bei uns. Für das Kind. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Kein Fieber. Seine Atmung zieht. Wir inhalieren. Geben Medikamente. Ich küsse Josef. Halten ihn abwechselnd. Sind ganz bei ihm. Bei Klara auch.

Es klingelt. Die Geschwisterkinder. Ob Klara? Ja, sage ich. Ja. Ich rufe im Kinderhospiz an. Frage, ob es okay ist, wenn Klara dort ist. Ja. Kein Problem. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Gehalten.

Uli und ich. Wir reden. Leise. Über das Kind. Weinen. Lachen. Auch. Können uns gar nicht vorstellen, wie es sein soll. Ohne. Ihm nicht mehr zu begegnen. Das Kind nicht mehr zu hören. Im Kinderhospiz. Stille. Da wird Stille sein. Stille.

Wir gehen los. Josef schläft. Im Kinderwagen. Das Sekret läuft. Das ist gut. Die Medikamente wirken. Dann gehen wir ins Kinderhospiz. Die Kerze brennt nicht mehr. Das Kind ist nicht mehr im Kinderhospiz. Wurde abgeholt. Wohin. Wissen wir nicht.

Wir gehen in den Garten. Klara und die Geschwisterkinder sind dort. Spielen Fußball. Wir setzen uns. Wenige Gäste. Pfleger. Schwestern und Eltern sind da. Wir erzählen. Ein wenig. Sind alle still. Eher still heute.

Wir gehen nach Hause. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Ich halte Josef. Küsse ihn. Immer wieder. Wir essen Abendbrot. Nudeln mit Pesto. Josef bekommt seinen Abendbrei. Wir schauen zusammen Kinderfernsehen.

Josef liegt auf mir. Wir atmen zusammen. Mir laufen Tränen. Ich spüre Josefs Wärme auf meiner Brust. Josef, mein Josef. Uli bringt Klara in unser Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 96. Er bekommt ein Schmerzmedikament. Wir gehen ins Bett. Irgendwann. Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2021


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