, Zu Hause 1

Um 3.00 Uhr klopft es an der Tür. Ich bin wach. Hellwach. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich stehe an der Schlafzimmertür. Als könnte ich fliegen. Krampf, sagt die Schwester. Josef blutet aus der Nase.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Josef liegt in seinem Bett. Sein Kopf dreht sich nach hinten rechts. Immer wieder. Ich nehme Josef in meinen Arm. Uli kommt zu uns. Fragt. Josef krampft, sagt die Schwester. Er blutet aus der Nase. Sie hat viel Frischblut abgesaugt. Sie zeigt es uns im Absaugbehälter.

Uli holt das Notfallmedikament. Gibt es Josef. Tee dazu. Nach 10 Minuten hört der Krampf auf. Ich küsse Josef. Uli ruft das SAPV-Team an. Berichtet. Die Palliativschwester sagt, wir sollen versuchen, weniger abzusaugen. Wahrscheinlich ist die Schleimhaut im Nasen-Rachen-Raum zu gereizt. Schmerzmedikamente können wir Josef auch geben. Gut, sagt Uli. Gut.

Uli gibt Josef noch ein Schmerzmedikament. Er schläft. Josef schläft in meinem Arm. Ich lege ihn in sein Bett. Herzfrequenz 116. Sauerstoffsättigung 96. Die Schwester spült die Absaugbehälter aus. Wir gehen wieder ins Bett. Schlafen. Kaum.

Um 6.00 Uhr klingelt der Wecker. Ich stehe auf. Fühle mich gerädert. Einatmen und Ausatmen. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Aus dem Wohnzimmer höre ich Josef. Und das Rauschen der Inhalette. Alles nach Plan, denke ich. Alles nach Plan. Doch. Was nutzt er schon? Der Plan. Er schützt nicht. Vor Krisen. Das Leben ist kein Plan. Es gibt ihn nicht. Den Lebensplan. Gibt es nicht. Einatmen und Ausatmen.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester hält Josef im Arm. Sie wirkt angestrengt. Müde. Ich frage sie. Josef ist gerade wach geworden. Kein Fieber. Sekret ist zäh. Vitalwerte sind gut. Okay, sage ich.

Ich gehe in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie auf ihren Kopf. Sie setzt sich auf ihren Stuhl. Isst ihre Cornflakes. Uli kommt. Setzt sich zu ihr.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Nehme Josef. Küsse ihn. Die Schwester spült die Inhalette aus. Verabschiedet sich. Josef schläft langsam wieder ein. In meinem Arm. Klara geht los. Los zur Schule. Uli winkt ihr nach. Bis er sie nicht mehr sieht. Ich lege Josef in sein Bett. Bleibe bei ihm stehen. Lege meine Hand auf seinen schönen Kopf. Decke seinen Kopf ein wenig zu. Mit meinem Unterhemd. Das ich jeden Abend in sein Bett lege.

Gegen 10.00 Uhr wird Josef wach. Uli inhaliert. Saugt vorsichtig ab. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Tee. Medikamente.

Um 11.00 Uhr klingelt es. Die Logopädin. Sie legt sich alles zurecht. Nimmt Josef in den Arm. Streichelt seine Hände, Arme, Füße und Beine. Arbeitet sich zum Gesicht vor. Ich bringe ihr die eingefrorenen Wattestäbchen. Ganz behutsam streicht sie damit über seine Wangen. Seinen Mund. Josef reagiert. Wie schön es ist. Mein Josef. Ich nehme Josef wieder. Wir verabschieden uns. Umarmungen.

Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Der Tag vergeht. Im immergleichen Rhythmus. Getaktet nach Zeiten. Medikamentengabe. Inhalationen. Mahlzeiten.

Um 14.30 Uhr gehe ich los. Los zum Hort. Klara abholen. Sie kommt gleich mit. Hüpft und springt.

Zu Hause. Josef schläft in seinem Bett. Um 15.00 Uhr klingelt es. Die Familienbegleitung. Wir freuen uns. Alle. Können ungezwungen sprechen. Es ist keine Pflegekraft da. Klara wird ungeduldig. Möchte die Familienbegleitung für sich haben. Zieht sie in ihr Zimmer. Aus ihrem Zimmer hören ich es lachen. Laut lachen.

Ich freue mich. Das ist gut, denke ich. So gut. Das laute Lachen. Dem Leben ins Gesicht lachen. Auch ohne Plan. Um 18.00 Uhr verabschiedet sie sich.

Uli holt Pizza. Weil heute Donnerstag ist, sagt er. Zusammen essen wir Abendbrot. Ich gebe Josef seinen Brei. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Wir schauen Kinderfernsehen. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Uli nimmt ihn. Legt Josef auf seinen Bauch.

Vater und Sohn. Bauch an Bauch. Wie schön. Ich bringe Klara in ihr Bett. Lese ihr vor. Wir liegen eine ganze Weile zusammen. Klara sagt, ich freue mich. Auf die neue Schule. Ich küsse sie. Mache ihr das Hörspiel an. Josef ist auf Uli eingeschlafen. Uli legt ihn vorsichtig in sein Bett. Herzfrequenz 125. Sauerstoffsättigung 93.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 29.12.2020


Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

❤️ Mehr darüber, wie du uns unterstützen kannst.