, Zu Hause 2
Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Sonntag. Ich fühle mich ausgeruht. Klara und Uli schlafen noch. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Öffne die Balkontür. Lasse die kühle Luft in unsere Wohnung.
Ich stelle mich auf den Balkon. Atme. Ganz bewusst. Einatmen und Ausatmen. Ich höre Vögel zwitschern. Wie schön, denke ich. Der Frühling kündigt sich an. Frühling. Aufbruch. Zu etwas Neuem. Ich schließe die Balkontür. Gehe in Josefs Zimmer. Die Tür knarrt.
Josef schläft. Wie gestern liegt er in seinem Bett. Atmet gleichmäßig. Herzfrequenz 122. Sauerstoffsättigung 94. Die Schwester sitzt auf dem Sofa. Sagt, Josef hatte eine entspannte Nacht. Vitalzeichen waren stabil. Kein Fieber. Viel weißliches Sekret. Keine Krämpfe. Gut, sage ich. Gut. Uli kommt ins Zimmer. Die Tür habe ich offen gelassen. Die Schwester verabschiedet sich.
Klara ist wach und schaut fern, sagt Uli. Es ist ja Wochenende. Wir setzen uns zu Josef. Trinken Kaffee. Tee. Ich schalte den Monitor aus. Josef schläft noch. Dann verändert sich seine Atmung. Wird schneller und lauter.
Josef wird wach. Er öffnet seine Augen. Streckt seine Arme nach vorn. Ich nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. In meinem Arm wird er wieder ganz weich. Entspannt. Die Spastik löst sich.
Uli bereitet die Inhalette vor. Ich inhaliere Josef. Uli saugt ihn ab. Ich lege Josef über meine Knie. Mit dem Kopf nach unten. Kuschel ihn ein. Helfe ihm. Beim Atmen. Mit meinen Händen. Das Sekret läuft aus seiner Nase und seinem Mund. Richtige Pfützen bilden sich auf dem Fußboden. Das stört uns nicht. Hat uns noch nie gestört. Das viele Sekret.
Josef schläft auf meinen Knien ein. Ich bleibe sitzen. Schaue aus dem Fenster. Auf den Hof. So ist das mit Josef. Im Hier bleiben. Nicht aufspringen können. Etwas tun. Was soll ich auch immer tun? Ist es nicht wichtig, hier zu bleiben? Zu spüren? Josef zu spüren? Mich zu spüren?
Hier und jetzt. In diesem Zimmer. Auf diesem Sofa. Aus dem Fenster zu schauen. Zu atmen. Das ist wichtig. Mein Josef, so wichtig. So wertvoll.
Uli deckt den Frühstückstisch. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Wir schauen zusammen aus dem Fenster. Ich lege Josef vorsichtig in sein Bett. Kuschel ihn ein. Sein Schlafschaf lege ich in seine Arme. Dann frühstücken wir. Sind ganz leise. Still und leise.
Um 11.00 Uhr klingelt es. Die Geschwisterkinder. Klara freut sich. Zeigt ihr Zimmer. Sie spielen etwas. Uli reicht Kekse und Tee. Dann fragen sie, ob sie Klara mitnehmen können. Ins Kinderhospiz. Da haben sie mehr Möglichkeiten zu spielen. Mehr Platz. Ja, sagt Uli. Ja. Ruft im Kinderhospiz an. Fragt, ob das in Ordnung ist. Ja, wird ihm gesagt. Ja.
Josef, mein Josef wird wach. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich küsse ihn. Ziehe ihn vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Genieße es. Ganz bei ihm zu sein.
Dann zuckt Josef. Mit dem Kopf. Nach hinten. Seine Augen verdrehen sich. Ein Krampf. Ich lege ihn auf meine Knie. Nehme seine Arme und Beine. Lege sie auf seinen Bauch. Drücke den Punkt zwischen seinen Augen und zwischen seiner Nase und seinem Mund. Der Krampf löst sich.
Ich küsse Josef. Scheiß Krämpfe, denke ich. Diese blöden Krämpfe. Einatmen und Ausatmen. Nicht dagegen kämpfen, denke ich. Annehmen, Anne. Annehmen. Es ist, wie es ist. Josef ist, wie er ist. Mir laufen Tränen.
Wir gehen spazieren. Eine kleine Runde. Uli packt die Absauge ein. Ich ziehe Josef an. Dann fahren wir los. Eine Gartenrunde. So vertraut von den Aufenthalten im Kinderhospiz. Unzählige Male sind wir diese Runde gelaufen.
Nach unserem Spaziergang gehen wir ins Kinderhospiz. Schauen nach Klara. Sie ist mit den Geschwisterkindern im Jugendzimmer. Sie erzählen. Wir fragen, ob wir dazu kommen können. Ja, sagen sie.
Ich nehme Josef in meinen Arm. Küsse ihn. Dann dreht er den Kopf wieder nach hinten. Zuckt. Ein Krampf. Ich lege ihn auf meine Knie. Sammele seine Arme und Beine ein. Küsse ihn. Der Krampf hört auf. Ich lege Josef auf meine Brust. Er schläft wieder ein.
Gegen 18.00 Uhr gehen wir in unsere Wohnung. Essen Abendbrot. Die Kinder werden gebadet. Josef ist angespannt. Wir schauen fern. Ich bringe Klara in ihr Bett. Lese vor. Mache das Hörspiel an. Josef liegt auf Uli. Vater und Sohn. Bauch an Bauch. Das ist schön. Josef schläft ein. Uli legt ihn in sein Bett. Schaltet den Monitor an. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 96.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir erzählen vom Tag. Gehen ins Bett. Schlafen.
Zuletzt aktualisiert am: 29.01.2021