, Kinderhospiz
Um 7.20 Uhr schrecke ich auf. Einfach so. Ich habe traumlos geschlafen. Als gäbe es hier keine Träume. Nur Stille. Ich schaue auf mein Handy. Keine Anrufe. Klara liest schon in ihrem Bett. Guten Morgen, meine Klara. Wie hast du geschlafen?
Gut, brummt sie. Möchte nicht reden, sondern lesen. Es ist so spannend. Ich verstehe, sage ich. Verstehe. Uli ist nicht da. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Kaltes Wasser.
Ich gehe in den Garten. Uli sitzt auf dem Steg. Seine Füße im Wasser. Ich setze mich zu ihm. Frage, wie es ihm geht. Weiß nicht, sagt er. Weiß nicht. Ich auch nicht, sage ich. Ich weiß nichts mehr. Meine Füße im Wasser. Die Herbergsmutter im Garten. Guten Morgen, sagen wir. Guten Morgen.
Wir gehen in die Ferienwohnung. Ziehen uns an. Klara hat ihr Buch zu Ende gelesen. Lässt sich dazu überreden mit in den Ort zu kommen. Brötchen und Brot zu kaufen. Auf dem Weg rufe ich im Kinderhospiz an. Endlich.
Josef hatte eine ruhige Nacht, sagt die Schwester. Er ist sehr schlapp. Die Vitalwerte sind im Normbereich. Kein Fieber. Wenig Atemaussetzer. Ab und zu krampft Josef ganz leicht. Sein linker Arm wackelt dann ein wenig. Nach dem Frühstück gehen sie in den Garten. Wir passen auf, sagt die Schwester. Genießt den Urlaub. Danke, sage ich. Machen wir, sage ich auch. Lege auf.
Bin etwas beruhigt. Keine große Krise. Einatmen und Ausatmen. Vielleicht hilft ja auch das neue Medikament. Vielleicht. Die Hoffnung. Da ist sie wieder. Die Hoffnung auf. Ohne eine Art von Hoffnung. Auf eine Perspektive. Habe ich das Gefühl, mich zu verlieren.
Es ist nicht die Hoffnung auf Heilung. Auf Rettung. Es ist die Hoffnung auf etwas Linderung. Für Josef. Linderung im Sterben. Es ist eine realistische Hoffnung. Einatmen und Ausatmen.
Beim Bäcker. Brötchen kaufen wir. Brot und Kuchen. Klara bekommt ein Hörnchen auf die Hand. Wir laufen wieder zurück. Die Sonne scheint. Heute kann ich den Kopf etwas heben. Meine Augen öffnen. Für diesen Ort. Ihn an mich lassen. Ein wenig. Für die Menschen hier reicht es noch nicht.
Wir frühstücken im Garten. Klara ist schlecht gelaunt. Sie hat keine Lektüre mehr. Nach dem Frühstück gehen wir in den Buchladen. Kaufen gleich zwei Bände von „Die Schule der magischen Tiere“. Sicher ist sicher.
Zurück in der Ferienwohnung packe ich die Badesachen. Achte darauf, dass sich alle mit Sonnenlotion eincremen. Dann laufen wir los. zu einem Tretbootverleih. Wir haben Glück. Eines haben sie noch. Wir mieten es für 6 Stunden. Klara macht es sich gemütlich. Liest.
Uli und ich. Wir treten. Es tut gut. Zwischendurch mache ich eine Pause. Dann pausiert Uli. Es sind mehrere Seen miteinander verbunden. Durch kleine Kanäle. Es ist schön. Unwirklich und schön. Langsam bekomme ich wieder einen Zugang. Eine Verbindung zu der Welt. Meine Füße lasse ich durch das Wasser gleiten.
Klara geht baden. Das Wasser ist kalt. Schnell kommt sie wieder auf unsere kleine Tretbootinsel. Es tut mir gut. Allein zu sein. Mit meiner Familie. Auf diesem Tretboot. Keine Menschen weit und breit. Kein In-Beziehung-gehen-Müssen zu anderen Menschen. Nur wir. Auf diesen Seen. Auf unserer Insel. Mit dem Himmel. Den Bäumen. Den Bergen. Dem Wasser. Den Seerosen.
Am späten Nachmittag kommen wieder an. Wir sind erschöpft und müde. Gehen ein Eis essen. Zum Glück ist es leer. Abendbrot wollen wir in einem guten Fischlokal essen. Auf dem Weg in unsere Ferienwohnung gehen wir an dem Lokal vorbei und bestellen ein Tisch. Um 18.00 Uhr haben sie noch was frei. Für anderthalb Stunden.
In der Ferienwohnung duschen wir. Ziehen uns um. Setzen uns in den Garten. Klara liest. Verschlingt dieses Buch. Ist ganz absorbiert. Wir laufen zu dem Lokal. Werden platziert. Der Ausblick ist wunderschön. Der See.
Nur Josef fehlt. Er fehlt mir sehr. Schmerzhaft fehlt er. Und doch weiß ich, wir hätten ihn nicht mitnehmen können. Für ihn wäre es eine enorme Anstrengung gewesen. Im Garten hätten wir sitzen können. Im Garten. Immer die Anspannung. Die nächste Krise. Schaffen wir es? Ohne das SAPV-Team? Einatmen und Ausatmen.
Ich rufe im Kinderhospiz an. Alles gut, sagt die Schwester. Josef wurde gerade gebadet. Viel gekuschelt wird. Kein Fieber. Vitalwerte sind in der Norm. Gegen Mittag hatte Josef einen großen Krampfanfall gezeigt. Hat sich aber wieder erholt.
Wir passen auf, sagt die Schwester. Passen auf. Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Küsse ihn von mir, sage ich. Mach ich. Habt eine gute Zeit dort, sagt sie. Danke. Mein Herz ist schwer. Was habe ich auch gedacht? Gehofft?
Der Fisch wird gebracht. Wir essen. Verabschieden uns. Die Menschen sind mir zu viel. In der Ferienwohnung. Klara liest noch etwas. Wir sitzen am See. Sind still. Gehen ins Bett. Schlaf.
Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019