, Zu Hause 2
Ich bin wach. Schalte den Wecker aus. es ist 6.20 Uhr. In mir drehen sich die Gedanken. Gefühle. Mir ist übel. Schwindlig. Fühle mich nackt. Ausgeliefert. In dem System. Möchte dem keine Bedeutung geben. Kann doch nicht anders.
Wie schnell es passiert. Das Über-einen-Sprechen. Zuschreibungen. Wertungen. Die Folgen daraus. Pathologisierungen.
Mutter ist labil. Absprechen von Entscheidungsfähigkeit. Verlust von Vertrauen. In der Sterbesituation meines Kindes. In der jeder Gefühlsausbruch gerechtfertigt ist. Jeder. Situationsangemessen ist. Weinen. Schreien. Wut. Angst. Hilflosigkeit. Liebe. Unendliche Liebe. Alles ist angemessen.
Gleichzeitig wird erwartet, dass ich mich in meine Rolle einfinde. Auf eine Metaebene gehe. Das Sterben meines Kindes in einer reflektierten Distanz begegne. Was wird noch erwartet? Was denn noch? Was muss ich noch aushalten? Was noch? Geht noch mehr?
Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Die Tür klappert. Ich warte. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Kaltes Wasser. Ich möchte schreien. Tue es nicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee.
Gehe auf den Balkon. Kinder werden gebracht. Eltern eilen davon. Die Welt zieht an mir vorbei. Ich habe damit nichts mehr zu tun. Nichts mehr. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie. Auf ihren Kopf. Halte sie in meinem Arm. Uli setzt sich zu Klara.
Ich gehe in Josefs Zimmer. Er schläft. Herzfrequenz 108. Sauerstoffsättigung 98. Die Schwester ist bei ihm. Gibt Josef Tee. Medikamente. Über den Bauchschlauch. Ich streichele Josefs Locken. Küsse ihn. Frage nach der Nacht. Josef schlief durch, sagt sie. Die Vitalwerte schwankten etwas. Nicht sehr. Kein Fieber. Gut, sage ich. Gut. Sie räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.
Klara geht los. Los in die Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe.
Es klingelt. Die Schwester. Josef wird wach. Ich inhaliere ihn. Sauge Josef ab. Küsse. Bin nicht wirklich bei ihm. Eher bei der Schwester.
Wieviel Macht sie doch hat. Schafft es, dass es Gespräche gibt. Wegen ihrem Gefühl mir gegenüber. Ihren Gefühlen. Ihren Ängsten. Wieviel Macht sie doch hat. Wie kann ich mich dem entziehen? Dieser Macht? Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Küsse ihn. Sie nimmt ihn in den Arm.
Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Tee. Medikamente. Sage, es gab wieder ein Gespräch. Ja, sagt sie. Sie empfand es nicht angemessen. Ihr wurde angeboten, im Kinderhospiz zu hospitieren. Sie braucht es nicht. Ist erfahren.
Okay, sage ich. Dann trägst du unsere Entscheidung mit. Nein, sagt sie. Ich akzeptiere sie. Mittragen. Das kann ich nicht. Einatmen und Ausatmen. Akzeptanz ist gut, sage ich. Du bist immer so traurig, wenn es Josef schlecht geht, sagt sie. Ja, sage ich. Das ist doch normal, oder?
Du möchtest doch nicht, dass Josef stirbt, sagt sie. Ich sage, es geht hier nicht um das Möchten. Es geht darum, Josef ernst zu nehmen. Anzunehmen. Josef ist krank, sage ich. Schwer krank. Ja, sagt sie. ABER. Sie kennt andere Kinder, die leben auch noch.
Josef ist Josef, sage ich. Josef ist Josef.
Es klingelt. Die Logopädin. Ich bin erleichtert. Das Karussellgespräch ist beendet. Wir drehen uns im Kreis. Immer im Kreis. Kein Zugang. Kein Perspektivwechsel möglich. Schmerz und Traurigkeit auf beiden Seiten.
Josef sitzt in seinem Therapiestuhl. Die Logopädin beginnt mit den Händen. Füßen. Armen. Beinen. Arbeitet sich bis zu seinem Mund zu. Heute macht er gut mit, sagt sie. Die Schwester schaut mich an. Ihr Blick sagt, siehst du.
Josef bekommt seinen Mittagsbrei. Tee. Medikamente. Schläft ein. Die Schwester legt ihn in sein Bett. Ich verlasse das Zimmer. Gehe laufen. Laufen. Laufen. Und laufen. Tränen laufen. Mit.
Ich hole Klara vom Hort. Tee. Kakao. Kaffee. Kekse. Josef schläft noch. Die Schwester geht. Josef, mein Josef. Ich halte ihn. Küsse. Inhalation. Absaugen. Ich lege ihn auf das Lagerungskissen.
Zusammen essen wir Abendbrot. Nudeln mit Pesto. Ich fühle mich schmerzhaft dumpf. Uli schaut mit den Kindern Kinderfernsehen. Ich gehe zur Elternversammlung. Schreibe auf. Merke mir nichts. Dann Elternvertreterwahl. Ich halte es nicht mehr aus. Gehe los. Ein verständnisvolles Nicken der Lehrerin. Sie weiß um unsere Situation.
Zu Hause. Josef auf Uli. Vater und Sohn. Bauch an Bauch. Mir laufen Tränen.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Uli legt Josef in sein Bett. Herzfrequenz 70. Sauerstoffsättigung 97. Der Monitor schreit. Wir schalten ihn auf Pause. Dann aus. Bitte die Schwester ihn alle halbe Stunde anzuschalten. Josef genau zu beobachten. Wir gehen ins Bett. Schlaf?
Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019