, Zu Hause 2

Der Wecker klingelt. Es ist 7.00 Uhr. Ich bin wach. Klara schläft noch. Ihr Kopf ist ganz vergraben im Kissen. Im frisch bezogenen und neuen Kissen.

Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Es hat fast etwas Beruhigendes, denke ich. Diese Läuse. Wir sind wirksam. Gegen die Läuse. Spüren, wir können etwas tun. Diese Läuse zeigen uns: wir können etwas tun. Dagegen. Es wirkt. Sie sind dann weg. Einatmen und Ausatmen.

Bei den Zuständen von Josef wissen wir es nicht. Wissen nicht, ob wir wirksam sind. Was wirksam ist. Oft sind wir ohnmächtig. Ohne Macht. Die Läuse. Danke, liebe Läuse. Ihr habt uns gezeigt, wir können wirksam sein. Wie absurd, denke ich. Wie absurd. Aber. So fühlt es sich an. Gerade.

Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Wieder so ein schöner Tag. Pfingstsonntag. Der Fuchs. Nicht zu sehen. Ich gehe in Josefs Zimmer. Mein Josef ist wach. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 96. Ich schalte den Monitor aus.

Nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. Er sieht ganz wach aus. Ganz da. Ich halte ihn in meinem Arm. Küsse ihn. Immer wieder. Frage nach der Nacht. Josef schlief durch, sagt die Schwester. Die Vitalwerte waren gut. Teilweise ging die Herzfrequenz auf 66 runter. Keine Krämpfe. Josef war sehr entspannt. Hatte kaum Körperspannung. Kein Fieber. Gut, sage ich. Gut.

Josef hat es überstanden. Erst einmal. Ja, sagt die Schwester. So etwas kennt sie. Von den Kindern im Kinderhospiz. Auf und ab. Ja, sage ich. Ja. Aushalten. Irgendwie aushalten. Nur wie? Das frage ich mich. Nur wie? In diesen schweren Momenten.

Sie streicht mir über den Arm. Es ist mir angenehm. Ich bin da. Wir sind da, sagt sie. Danke, sage ich. Danke. Uli kommt. Ist verunsichert von der Situation. Alles gut, sage ich. Alles gut. Die Schwester verabschiedet sich.

Ich setze mich mit Josef in das Wohnzimmer auf das Sofa. Lege ihn mir über die Knie. Inhaliere ihn. Sauge ab. Uli deckt den Frühstückstisch. Klara schaut fern.

Josef, mein Josef. Schläft wieder ein. Seine Atmung. Rauscht. Zieht nur ein wenig. Wie schön, denke ich. Wie schön. Ich lege Josef auf das Sofa. Wir frühstücken.

Es klingelt. Die Geschwisterkinder. Ob Klara mitkommen kann. Sie wollen im Garten vom Kinderhospiz spielen. Ja, sage ich. Ja. Rufe im Kinderhospiz an. Frage, ob es in Ordnung ist. Kein Problem. Wir kommen nach, sage ich.

Josef, mein Josef. Ich gebe ihm vorsichtig seine Heilnahrung. Tee. Medikamente. Im Schlaf. Räume in der Wohnung herum. Josef liegt im Wohnzimmer auf dem Sofa. Der Monitor ist angeschlossen. Herzfrequenz 90. Sauerstoffsättigung 95. Alles gut, denke ich. Alles gut.

Gegen Mittag wird Josef wach. Ich küsse ihn. Schalte den Monitor aus. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich packe die Sachen zusammen. Absauge. Tee. Medikamente.

Uli trägt Josef die Treppe hinunter. Legt ihn in den Kinderwagen. Dann laufen wir. Eine Gartenrunde. Heide. Meine Augen sind immer auf Josef gerichtet. Das Sekret läuft aus seiner Nase. Ganz hell. Schaumig. So, wie es sein muss. Ich bin erleichtert. Geschafft. Josef. Pause.

Josef. Erst einmal Pause. Auch wenn es nur für heute ist. Pause. Das ist wichtig. Erholung von der Anspannung. Von. Vom Sterben. Einatmen und Ausatmen.

Wir kommen an. Im Kinderhospiz. Setzen uns mit Josef in den Garten. Die Geschwisterkinder spielen. In ihrer eigenen Welt. Das ist gut. Gäste sind im Garten. Pfleger. Schwestern. Eltern.

Ich frage nach dem Jungen. Dem Jungen, mit dem Josef verglichen wird. Dem Jungen mit den schönen Wimpern. Den wunderschönen Locken. Dem Jungen. Es geht ihm nicht gut, sagt die Schwester. Er ist in seinem Zimmer. Die Eltern sind da. Einatmen und Ausatmen. Aushalten.

Die Ärztin kommt. Hat uns gesehen. Aus dem Gemeinschaftsraum. Sie untersucht Josef. Besser, sagt sie. Überstanden. Erst einmal. Ja, sage ich. Ja. Dann reden wir. Leise. Sie sagt, die Kinder. Sie testen. Verabschieden sich. Kommen zurück. Es ist ein Prozess. Mir wird es schwer. Weil es mir immer schwer wird, wenn wir darüber sprechen.

Und doch brauche ich. Diese Schwere. Das Vergegenwärtigen. Des Sterbens. Josef wird es zeigen, sagt sie. Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Es entzieht sich unserem Denken. Unserer Kontrolle. Wir können nur vertrauen. Auf Josef. Einatmen und Ausatmen. Auf Klara auch.

Ich werde leichter. Es ist nicht gut, denke ich. Immer schwer zu sein. Nicht für Josef. Nicht für Klara. Nicht für uns. Brauchen Pausen von der Schwere. Momentan ist es wieder leichter. Josef geht es besser. Einatmen und Ausatmen. Wir bleiben im Garten. Es wird gegrillt. Es ist schön. Wir lachen. Viel.

Zu Hause. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Wir schauen Kinderfernsehen. Josef schläft auf mir ein. Uli bringt Klara in unser Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 90. Sauerstoffsättigung 96. Alles gut. Alles gut.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021


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