, Zu Hause 2
Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Das Licht der Schule scheint ins Zimmer. Ich habe mich fast daran gewöhnt. An dieses Licht. Es sagt, guten Morgen. Ein neuer Tag. Wir sind schon in Bewegung.
Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Höre die Tür klappern. Warte. Noch im Bad. Möchte der Schwester noch nicht begegnen. Bin noch nicht bereit. Dann gehe ich in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch.
Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse ihren Kopf. Halte sie. Ein wenig. Frage, wie es ihr geht. Gut, sagt sie. Schaut mich dabei nicht an. Ich küsse sie noch einmal. Halte sie. Bis sie sich aus meinem Arm windet. Uli kommt. Setzt sich zu Klara.
Ich gehe in Josefs Zimmer. Die Tür knarrt. Eine Ankündigung für die Schwester: Jemand kommt ins Zimmer. Ich finde es angenehm. Dieses Knarren der Tür. So sind wir nicht überrascht. Voneinander.
Josef ist wach. Ganz laut ist er. Seine laute Josefatmung. Er liegt im Arm der Schwester. Ich nehme ihn. Küsse Josef. Guten Morgen, mein Bär. Wie schön es ist. Ihn zu spüren. Seinen Körper. Seine Wärme. Seine Atmung. Wie schön du doch bist, mein Josef.
Ich frage nach der Nacht. Josef war angespannt. War zweimal wach. Kein Fieber. Vitalwerte waren im Normbereich. Das Sekret fließt. Gut, sage ich. Gut. Krämpfe, frage ich? Nein, sagt die Schwester. Sie hat keine Krämpfe gesehen. Gut, sage ich. Gut. Noch einmal gut.
Klara geht in die Schule. Wir winken ihr. Aus Josefs Zimmer. Bis wir sie nicht mehr sehen. Die Schwester spült die Inhalette aus. Die Absaugbehälter. Wechselt die Spritzen aus. Zieht neue Medikamente auf. Dann verabschiedet sie sich. Schlaf gut. Danke.
Ich halte meinen Josef. Genieße es. Ihn zu spüren. Zu küssen. Um 8.00 Uhr klingelt es. Innerlich bin ich noch gar nicht bereit für die Schwester. Unsere morgendliche innige Zeit wurde uns genommen. Mein Josef. Verplant. Wir werden uns daran gewöhnen, denke ich. Dafür haben wir nun die Nachmittage. Mit Klara zusammen. Ohne Schwester.
Es fällt mir schwer. Schwer mich daran zu gewöhnen. An den Gedanken. Fremdbestimmt zu sein. Unseren Lebensrhythmus anzupassen. An die Arbeitszeiten der Schwestern. Josef, mein Josef, hörst du. Am Nachmittag darf es keine Krisen geben. Da sind wir allein. Ab nächster Woche. Ganz allein. Nur du. Deine Schwester. Und ich. Einatmen und Ausatmen.
Die Schwester steht in Josefs Zimmer. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Zeige ihr die PEG. Damit sie dokumentieren kann, es ist alles in Ordnung. PEG reizlos. Ich gebe ihr Josef. Sie inhaliert ihn. Saugt ihn ab.
Um 9.40 Uhr klingelt es. Die Physiotherapeutin. Etwas zu spät. Das ist doch nicht schlimm, sagt sie. Wir sind ja da. Ich widerspreche nicht. Widerspreche nicht. Wir können ja froh sein, dass sie überhaupt kommt. Zeit hat. Für Josef. Sie dreht und wendet Josef. Er schläft ein. Wie er es immer macht. Dann geht sie wieder. Fliegt davon.
Josef schläft. Ich gehe aus dem Zimmer. Schließe die Tür. Spüre, wie schwer es mir fällt. Mich an all das Neue zu gewöhnen. An die fremden Menschen.
Gleichzeitig fühlt es sich richtig an. Hier zu sein. In dieser Wohnung. Mit dem Platz. Mit dem Kinderhospiz über der Straße. Es vermittelt uns Sicherheit. Hier sind wir sicher. Wenn etwas ist, sind wir nicht allein. Können immer mit Josef über die Straße gehen. Im Kinderhospiz sind wir willkommen. Werden gehalten. Einatmen und Ausatmen.
An die fremden Menschen werden wir uns gewöhnen, denke ich. Einatmen und Ausatmen.
Um 12.30 Uhr klingelt es. Die Bestellungen kommen. Katheter. Absaugschläuche. Filter. Sensoren. Ich sortiere alles ein. Zusammen mit der Schwester. Josef sitzt im Therapiestuhl. Seine Augen sind halb geschlossen. Oder halb offen. Er sieht aus, als würde er dösen. Döst du, mein Josef? Ich küsse ihn immer wieder. Ganz flüchtig.
Gegen 15.00 Uhr holen wir Klara vom Hort ab. Die Schwester geht. Wir sind allein. Das ist schön. Wir zu viert. Zusammen gehen wir ins Kinderhospiz. Klara hat heute eine Stunde Musiktherapie. Wir erzählen ein wenig mit dem Musiktherapeuten. Lachen zusammen. Dann gehen sie ins Musikzimmer.
Josef, Uli und ich fahren mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock. Setzen uns in den Gemeinschaftsraum. Gäste sind dort. Pfleger. Schwestern. Eltern. Wir erzählen. Lachen. Ein Mädchen wird mobilisiert. Sie wird auf ein Dreirad gesetzt. Festgehalten. Dann fahren sie über den Flur. Eine Schwester trägt die Beatmung. Eine andere das Mädchen.
Es ist schön. Schön und schmerzhaft. Wäre sie gesund, könnte sie Dreiradfahren. Ist sie aber nicht. Nach einer Stunde kommen Klara und der Musiktherapeut wieder. Klara kuschelt sich an mich. Schön war es, sagt sie. Schön, sage ich.
Wir gehen wieder in unsere Wohnung. Essen zusammen Abendbrot. Schauen Kinderfernsehen. Es fühlt sich fast normal an. Mit Josef. Keine Krise seit einiger Zeit. Vielleicht bleibt es so. Vielleicht haben wir das Schlimmste überstanden? Wir schauen zusammen fern. Josef schläft auf meiner Brust ein. Uli bringt Klara in unser Bett. Es ist ja Wochenende.
Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 124. Sauerstoffsättigung 96. Wir erzählen. Dann gehen wir ins Bett. Schlafen.
Zuletzt aktualisiert am: 29.01.2021