, Zu Hause 2

Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr. Ich bleibe liegen. Kurz. Fühle mich ruhig. Heute. Beruhigt. Durch das Gespräch. Gestern. Das Zusammensein. Das Zeigen. Das Gesehenwerden.

Es wird ruhiger, denke ich. Müssen nicht mehr kämpfen. Wie ich es hasse, zu kämpfen. Mein Leben ist kein Krieg. Ich bin nicht im Krieg. Oder doch? Befinden wir uns mit unserem schwerstkranken Josef in einem Krieg? In einem Kampf um das Durchsetzen unserer Ansprüche? Im Kampf darum, gesehen zu werden? Einatmen und Ausatmen.

Wir kämpfen nicht mehr mit der Krankenkasse, denke ich. Brauchen keine extra Energie mehr. Dafür. Woher auch? Woher soll all die Energie kommen? Woher? Einatmen und Ausatmen.

Es ist 6.40 Uhr. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie auf ihren Kopf. Halte sie ein wenig.

Dann gehe ich in Josefs Zimmer. Das Fenster ist auf. Josef ist auf dem Arm der Schwester. Es war eine gute Nacht, sagt sie. Mit dem Vogelzwitschern wurde Josef wach. Viel Sekret. Das ist er aber alles los geworden. Kein Fieber. Heute Morgen war die Herzfrequenz etwas erhöht. Jetzt ist sie wieder in der Norm. Gut, sage ich. Gut.

Lächele. Ach. Freue mich. Über die Energie. Daher kommt sie, denke ich. Die Energie. Ich nehme Josef. Küsse ihn. Ich nehme Josef gleich ganz anders wahr. Der Gedanke, Josef wird mit den Vögeln wach, ist schön. Hat etwas Normales.

Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Wir plaudern. Lachen. Klara und Uli kommen dazu. Es ist wirklich schön. Klara geht los. Los in die Schule. Wir winken ihr nach. Uli geht zusammen mit der Schwester. Josef und ich. Wir sind allein. Einen kleinen Moment.

Es klingelt. Die Schwester. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Küsse ihn. Zeige die PEG. Reizlos. Josef bekommt seinen Morgenbrei. Im Therapiestuhl. Josef ist da. Ganz da. Kein Schwebejosef. Eine ruhige Zeit. Gerade. Dann in meinem Kopf.

Aber. Aber. Er bekommt gerade viele Medikamente. Cortison. Antibiose. Schmerzmittel. Damit geht es ihm gut. Und. Er kann hier sein. Mit den Medikamenten. Muss er nicht schweben. Gerade. Einatmen und Ausatmen. Josef sitzt entweder im Therapiestuhl. Oder liegt in meinem Arm. Oder im Arm der Schwester.

Um 12.20 klingelt es. Die Logopädin. Ich freue mich. Heute ist es leicht. Sie begrüßt Josef. Auf ihre Art. Sie arbeitet sich vor. Bis zu seinem Mund. Josef dreht den Kopf. Ach, Josef. Mein Josef. Ich küsse ihn. Sie verabschiedet sich.

Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Verlasse das Zimmer. In der Wohnung. Wäsche abnehmen. Bäder putzen. Die Küche. Einkauf? Ich frage die Schwester, ob ich einkaufen darf. Ja, sagt sie. Sie ruft mich an, wenn was ist.

Ich gehe einkaufen. Komme wieder. Josef im Arm der Schwester. Er sieht schlapp aus. Und blass. Sie sagt, er hat erbrochen. Plötzlich war die Atmung schlecht. Gerade möchte sie Josef inhalieren. Die Anspannung. Da ist sie. Wieder. Ich nehme Josef. Inhaliere ihn. Sauge Josef ab. Es wird besser. Oder nicht? Hätte ich dableiben sollen? Geht es mir durch den Kopf. Wandern die Gedanken.

Hätte ich es verhindern können? Besser aufpassen? Ach, denke ich. Ach. Stopp. Stopp. Stopp. Einatmen und Ausatmen. Ich gebe Josef der Schwester. Muss los. Klara abholen. Wir beeilen uns. Sind schnell wieder zu Hause.

Josef, mein Josef. Ich nehme ihn. Die Schwester verabschiedet sich. Klara in ihrem Zimmer. Hört Hörspiel. Die Atmung von Josef verändert sich. Wird schneller. Fieber. 38,8. Ich gebe ein Medikament. Rufe beim SAPV-Team an. Josef in meinem Arm. Spreche mit der Ärztin. Inhalieren. Absaugen. Medikamente geben. Nachher kommen sie. Gut, sage ich. Gut.

Fühle mich überfordert. Allein. Mit beiden Kindern. Uli rufe ich an. Er ist unterwegs. In einer Stunde da. Ich halte Josef. Tränen. Küsse. Tränen. Küsse. Josef schläft ein. Seine Atmung wird ruhiger. Ich halte ihn.

Uli. Endlich. Josef schläft. Ganz ruhig. Herzfrequenz 120. Sauerstoffsättigung 96. Temperatur 37,5. Einatmen und Ausatmen. Ich rufe beim SAPV-Team an. Sage, es ist besser. Sie brauchen nicht kommen. Wir sollen uns melden, wenn, sagt die Schwester. Ja, sage ich. Ja.

Abendessen. Zusammen. Brei. Tee. Medikamente über den Bauchschlauch. Kinderfernsehen. Zusammen. Josef, mein Josef. Liegt auf mir. Sein Kopf an meinem Herz. Spürst du mein Herz, Josef? Mein Herz. Für dich.

Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef vorsichtig in sein Bett. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 78. Josef wird umgelagert. Inhaliert. Abgesaugt. Sauerstoffsättigung 91. Wir gehen ins Bett. Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021


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