, Kinderhospiz

Um 7.00 Uhr bin ich wach. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Klara schläft. Uli auch. Ich stehe auf. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee.

Gehe auf den Balkon. Kinder werden in den Hort gebracht. Eltern eilen davon. Es ist kühl heute morgen. Ende August. Der Sommer endet. Der Sommer, mein Josef. Den Sommer hast du uns geschenkt.

Zwei Sommer durften wir schon mit dir haben, mein Josef. Was wollen wir denn noch? Wir sind gierig, mein Josef. Gierig nach mehr Zeit mit dir. Gierig auf Zukunft. Hoffnung. Ach. Josef, mein Josef.

Nach relativ stabilen Tagen macht sie sich breit. Die Gier. Das Verlangen nach mehr. Die Hoffnung auf. Das Planen. Die Zukunftsvisionen. Brauchen wir sie nicht auch? Die relativ stabilen Tage? Die Hoffnung? Das Verlangen nach mehr Zeit? Nach dir? Mein Josef?

Verlieren wir dich in der Zeit aus dem Blick? Dich? Was ist mir dir, mein Josef? Was ist mit dir? Uli kommt. Steht neben mir auf dem Balkon. Hat den Kaffee in der Hand. Eine Tasse für mich. Wir setzten uns auf die Schaukel. Sie quietscht.

Klara kommt zu uns. Kuschelt sich an mich. Fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Uli deckt den Frühstückstisch. Eine Freundin kommt heute.

Ich rufe im Kinderhospiz an. Frage. Josef schlief durch. Heute Morgen hatte er hohe Herzfrequenzen. Wahrscheinlich durch das Sekret bedingt. Jetzt ist es wieder okay. Gut, sage ich. Gut. Kündige an, dass wir erst gegen Mittag da sein werden. Kein Problem, sagt der Pfleger. Kein Problem.

Um 9.00 Uhr klingelt es. Unsere Freundin. Sie bringt Brötchen mit. Es ist ganz ungewohnt. Unsere Türen stehen offen. Wir können in normaler Lautstärke miteinander sprechen. Tun es nicht. Sind zu sehr in den alten Mustern verhaftet.

Wir erzählen. Lachen. Auch. Wir lachen auch. Klara kommt zu uns. Holt sich ein Schokobrötchen. Verschwindet wieder in unserem Bett. Gegen Mittag verabschiedet sich unsere Freundin.

Zusammen mit Klara gehen wir ins Kinderhospiz. Josef, mein Josef. Er schläft. Halb sitzend im Therapiestuhl. Ich küsse ihn. Mein Josef. Die Geschwisterkinder haben schon auf Klara gewartet. Die Klinkclowns kommen gleich.

Schon sind sie da. Sie ziehen von Zimmer zu Zimmer. Die Kinder hinterher. Wir gehen mit Josef in den Garten. Er schlummert. Oder? Der Einzelfallhelfer kommt. Ich freue mich. Er hat Duftöle mitgebracht. Möchte gern ausprobieren. Wenn wir einverstanden sind. Ja, sage ich. Ja.

Josef wird wach. Ich nehme ihn aus dem Therapiestuhl. Lege ihn in den Arm von dem Einzelfallhelfer. Es ist schön, sie zu beobachten. Wie bedacht er mit Josef ist. Sich immer bei uns rückversichert. Nach zwei Stunden verabschiedet er sich.

Josef, mein Josef. Ich halte ihn. Küsse. Josefs Atmung verändert sich. Wird schneller. Er fühlt sich heiß an. Uli misst seine Temperatur. 39 Grad. Sein Körper zittert. Bebt.

Uli gibt ihm ein Medikament. Josef krampft. Er bekommt noch ein Medikament. Ich halte Josef. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich küsse ihn. Warum helfen sie nicht? Diese Küsse?

Josef fällt in sich zusammen. Ich lege ihn über meine Knie. Damit das Sekret raus laufen kann. Die Hoffnung macht sich klein. Duckt sich. Zieht sich zurück. Fast schließt sie die Tür. Lässt dann aber doch einen Spalt offen.

Und da kommt sie reingestürmt. Die Realität. Ohne anzuklopfen. Stürmt sie rein. Steht da. Füllt alles in mir aus. Die Realität.

Nach zwei Stunden hat Josef immer noch sehr hohes Fieber. Bekommt noch ein Medikament. Seine Sauerstoffsättigung ist schlecht. Wir geben ihm Sauerstoff. Damit er sich nicht so anstrengen muss. Seine Atmung setzte aus. Immer wieder.

Wir geben ihm noch ein Medikament. Er schreit. Josef, mein Josef. Mir laufen Tränen. Ich halte ihn. Küsse. Warum hilft das nicht? Josef fällt in sich zusammen. Schläft ein. Nach einer halben Stunde ist er wieder wach. Schreit wieder. Bekommt ein Medikament. Josef in meinem Arm.

Klara. Wo ist Klara? Musiktherapie, sagt Uli. Sie proben heute. Die Geschwisterkinder. Wollen eine CD aufnehmen. Gut, sage ich. Gut.

Gegen 22.00 Uhr bringt Uli Klara nach Hause. Josef in meinem Arm. Beruhigt sich langsam. Die Nachtschwester übernimmt Josef. Schickt mich nach Hause. Sagt, ich bin da. Kümmere mich. Okay, sage ich. Okay. Ruf mich bitte an, ja sagt sie. Mache ich.

Ich küsse Josef. Gehe nach Hause. Uli sitzt auf dem Balkon. Die Schaukel quietscht. Wir schauen auf den leeren Schulhof. Sind still. Ganz still. Ich schäme mich für meine große Hoffnung. Meine Zukunftspläne. Habe ich sie doch nur für mich gemacht. Und Josef aus den Augen verloren. Josef, mein Josef.

Wir gehen ins Bett. Vorher rufe ich im Kinderhospiz an. Josef schläft, sagt die Schwester.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

❤️ Mehr darüber, wie du uns unterstützen kannst.