, Zu Hause 1

Um 5.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich pumpe Milch ab. Die Sonne scheint nicht. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer. Josef ist wach. Die Schwester inhaliert ihn gerade. Er liegt in ihrem Arm. Ich gehe in die Küche. Stelle die leeren Milchflaschen in den Geschirrspüler und die vollen in den Kühlschrank. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee.

Decke den Frühstückstisch. Klara kommt in die Küche. Schiebt sich auf ihren Stuhl. Cornflakes, sagt sie. Uli kommt in die Küche. Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester ist gerade fertig mit der Inhalation. Ich nehme Josef. Küsse ihn.

Guten Morgen, mein Josef. Die Schwester spült die Inhalette aus. Kommt wieder. Ich frage nach der Nacht. Sie sagt, er war sehr unruhig. Heute Nacht. Wahrscheinlich hatte er Bauchschmerzen. Er hatte deutlich mehr Sekret. Temperatur 37,6. Keine Sauerstoffsättigungsabfälle. Das Sekret ist weiß-schaumig. Gut, sage ich. Dann weiß ich Bescheid.

Mich beschleicht eine Angst. Von hinten kommt sie. Die Angst. Viel Sekret. Infekt. War es gestern zu viel? Einatmen und Ausatmen. Atmen nicht vergessen. Die Schwester verabschiedet sich. Schlaf gut, sage ich.

Klara geht los. Los in die Schule. Uli winkt ihr nach. Bis er sie nicht mehr sieht. Dann fährt Uli los. Los zur Arbeit. Wie er das nur macht. Der Uli. Mit der Arbeit. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Damit die Nasensonde nicht rausrutscht. Ich bin ganz bei Josef. Küsse ihn. Wenn Küsse nur heilen könnten.

Dann lege ich mir Josef auf die Knie. Den Kopf nach unten. Damit das Sekret besser ablaufen kann. Einatmen und Ausatmen. Meine Hände liegen auf seinem Rücken. Immer wieder küsse ich seinen schönen Kopf. Dann schläft er ein. Mein Josef.

Um 9.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Die neue Schwester. Stellt sich vor. Ich mache uns Kaffee. Josef in meinem Arm. Die Schwester wirkt freundlich. Sagt, mit Kindern hat sie noch nicht so viel Erfahrung. Ist nicht vom Fach. Würde Josef aber gern kennenlernen. Ich frage, ob sie absaugen kann. Ja, sagt sie. Würde es aber gern zusammen mit mir üben. Üben, Josef, üben. An dir üben. Muss wohl sein. An dir das Üben. Denke ich.

Ihre offene Art finde ich gut. Da weiß ich, woran ich bin. Dann gebe ich ihr Josef.

Plötzlich stehen ihr Tränen in den Augen. Sie sagt, so etwas Schlimmes habe ich noch nie gesehen. In mir steht alles still. Ihr laufen die Tränen. Am liebsten würde ich schreien. Laut schreien. Josef ist mein Kind. Er ist nichts „Schlimmes“. Er ist ein Mensch. Kein Ding. Unser Leben ist nicht schlimm.

Ich will dich nicht trösten. Keine Kraft mehr zum trösten. Ich bin still. Sage nichts. Nehme Josef. Sie wischt sich die Tränen weg. Sagt, es tut mir leid.

Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen. Wir brauchen diese Menschen. Sonst können wir nicht zu Hause mit dir leben, mein Josef. Diese vielen Menschen, mit ihren Mustern, ihren Befindlichkeiten. Können sie ja nicht zu Hause lassen, ihre Muster. Einatmen und Ausatmen. Ich bin still. Dann sagt sie, ich kann es mir vorstellen hier. Mit Josef. Gut, sage ich. Gut. Wir verabschieden uns.

Mir laufen die Tränen. Nun laufen sie. So verletzt fühle ich mich. Ich gebe Josef vorsichtig den Morgenbrei. Ganz vorsichtig. Die Routine beruhigt mich. Irgendwie.

Um 11.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Sie war beim Arzt. Kommt deshalb später. Ich wusste darum. Kein Problem. Ich frage, wie es ihr geht. Nicht so gut, sagt sie. Es wird. Bestimmt. Es wird, sagt sie. Ruhig ist sie heute. Ganz ruhig. Josef schläft ein. Mittagsschlaf. Ich weiß nicht wohin mit meinem Schmerz. Räume in der Wohnung. Hin und her. Den Schmerz wegsortieren. Es gelingt mir nicht.

Um 13.00 Uhr klingelt es. Die Logopädin. Schön sie zu sehen. Ich umarme sie. Einfach so. Auch wegen des Schmerzes. Sie legt sich alles zurecht. Nimmt sich Josef. Fängt behutsam an. An den Füßen und Händen. Arbeitet sich bis zum Mund vor. Dann gibt sie ihn mir. Wir verabschieden uns. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Bekommt seinen Mittagsbrei. Schläft ein. Schlaf, mein Josef, schlaf.

Ich gehe los. Los, Klara vom Hort abholen. Sie kommt mir gleich entgegen. Freut sich auf die Familienbegleitung. Sie hüpft und springt. Meine Klara. Wir gehen vorn entlang. An der Straße. Zu Hause.

Um 15.00 Uhr klingelt es. Die Familienbegleitung. Klara zieht sie in ihr Zimmer. Möchte die Zeit mit der Familienbegleitung auskosten. Nichts abgeben. Uli kommt von der Arbeit. Wir verabschieden die Schwester. Ich halte Josef. Seine Atmung rauscht. Dann verabschiedet sich die Familienbegleitung. Fragt noch nach Klaras Ferien. Erzählt von ihrem Verein. Sie machen ein Ferienprogramm für Geschwisterkinder. Ob Klara nicht Lust hat. Ja, sagt sie. Ja! Sie gibt uns eine Telefonnummer. Dort sollen wir uns melden. Schön, sage ich. Schön. Dann geht sie.

Zusammen essen wir Abendbrot. Schauen Kinderfernsehen. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich bringe Klara ins Bett. Lese ihr vor. Mache ihr das Hörspiel an. Umarme sie noch einmal. Meine kleine, große Klara. Wir sitzen zusammen. Josef schläft auf Uli ein. Bauch an Bauch. Vater und Sohn. Wie schön. In mir der Schmerz. Immer noch der Schmerz.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Herzfrequenz 138. Sauerstoffsättigung 94. Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Ich gehe ins Wohnzimmer. Josef schläft. Alles gut? Ja. Ich gehe in die Küche. Stelle die Milch in den Kühlschrank. Gehe ins Bett. Schlafe.

Zuletzt aktualisiert am: 27.06.2020


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