, Kinderhospiz
Klara weckt mich. Es ist 6.30 Uhr. Sie sagt, ich kann nicht mehr schlafen. Ich bin aufgeregt. Heute ist Halloween. Ich weiß, sage ich. Nehme sie in meinen Arm. Uli ist wach. Wir reden über Halloween. Darüber, dass wir es nicht kennen. Halloween. Aus unserer Kindheit. Ist das schlimm, fragt Klara. Nein, meine Klara. Nein.
Ich stehe auf. Uli schaltet den Fernseher an. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Uli steht auf. Geht ins Bad. Ich warte auf ihn. Setze mich in der Zeit zu Klara. Dann gehen wir in den Gemeinschaftsraum. Holen uns einen Kaffee.
Draußen ist es bedeckt. Wir gehen zu Josef. Mein Josef ist wach. Er liegt im Arm der Pflegedienstschwester. Ich freue mich sie zu sehen. Sie inhaliert Josef. Redet dabei mit ihm. Die Kinderhospizschwester kommt dazu.
Ich frage nach der Nacht. Josef hat ruhig geschlafen. Er wurde von der Pflegedienstschwester versorgt. Sie hat es ganz gut gemacht, sagt die Kinderhospizschwester. Schön, sage ich. Dann können wir ja nach Hause. Ja, sagt sie. Ja.
Ich streichele meinen Josef. Nehme ihn in den Arm. Küsse ihn. Gebe ihn dann wieder der Pflegedienstschwester. Uli und ich gehen in den Gemeinschaftsraum. Helfen beim Tischdecken. Wir sind routiniert. Hier. Mit den Abläufen. Gehören dazu.
Zum Frühstück werden die Gäste gebracht. Die Pfleger kommen. Schwestern. Eltern. Klara kommt. Die Geschwisterkinder. Josef wird von den Schwestern gebracht.
Josef liegt im Arm der Schwester. Bekommt seinen Morgenbrei. Medikamente. Tee. Am liebsten möchte ich zu ihm. Ihn in den Arm nehmen. Halte an mich. Die Schwester möchte doch lernen. Abgeben. Ich muss ihn doch abgeben können. Da ist wieder das Muss. Muss ich. Muss. Muss. Einatmen und Ausatmen.
Klara und die Geschwisterkinder ziehen sich nach dem Frühstück zurück. Heute ist ihr großer Tag! Uli und ich wollen nach Hause fahren. Vorbereiten. Unser Nachhausekommen am Montag.
Wir fahren los. Allein. Das fühlt sich ungewohnt an. Ganz ungewohnt. Wir kaufen in der Stadt ein. Wollen in unserem Ort niemandem begegnen. Heute.
Zu Hause. Die Wohnung ist kühl. Leer. Uli macht die Heizung an. Ich packe den Einkauf aus. Beziehe die Betten. Frisch. Wische Staub. Putze. Uli saugt. Wischt.
Es ist früher Nachmittag. Wir fahren wieder los. Los ins Kinderhospiz. Kommen an. Die Klinikclowns sind da. Ziehen mit den Kindern singend von Zimmer zu Zimmer. Josef liegt schlafend im Kinderwagen. Der Monitor hängt am Lenker. Herzfrequenz 126. Sauerstoffsättigung 97. Ich streichele seinen schönen Kopf.
Die Schwester sagt, Josef war heute entspannt. Die Pflegedienstschwester hat es gut gemacht. Schön, sage ich. Schön. Dann können wir ja wirklich nach Hause. Wir nehmen Josef mit. Setzen uns in den Gemeinschaftsraum. Trinken einen Kaffee. Jemand hat Kuchen gebacken. Rührkuchen. Es kommen Gäste in den Gemeinschaftsraum. Mit den Schwestern und Pflegern.
Eine Physiotherapeutin ist heute da. Ehrenamtlich. Fragt, ob sie mir etwas Gutes tun kann. Spontan sage ich, ja. Vielleicht tut es mir gut. Heute. Berührt zu werden. Wir gehen in Josefs Zimmer. Sie zeigt mir Übungen. Wie ich meinen Nacken entspannen kann. Es tut mir gut. Sie zeigt mir, wie ich mir selber etwas Gutes tun kann. Sich selber etwas Gutes tun. Gutes tun.
Wir gehen wieder in den Gemeinschaftsraum. Uli hält Josef in seinem Arm. Ich sehe verkleidete Kinder. Die Ärztin ist da. Lautes Gelächter. Die Kinder haben die Ärztin erschreckt. Mit Kunstblut. Ich lache mit. Lache laut mit. Wie gut es ist. Keine Tabus. Hier. Hier darf gelacht werden. Über Kunstblut an Halloween.
Ich erkenne Klara kaum wieder. So gut ist sie verkleidet. Nun wollen sie endlich los. Es ist dunkel draußen. Ein Praktikant begleitet die Kinder. Wir winken ihnen hinterher. Süßes oder Saures, hören wir sie rufen.
Zum Abendessen. Heute gibt es Pizza. Die Freitagspizza. Die restlichen Gäste kommen. Pfleger. Schwestern. Eltern. Ich halte Josef. Gebe ihm seinen Abendbrei. Medikamente. Tee. Küsse ihn. Er ist stabil, unser Josef. Relativ stabil. Oder bekommen wir seine Krisen hier gar nicht so mit? Einatmen und Ausatmen.
Nach dem Abendessen kommen die Kinder. Sie haben große Beutel mit Süßigkeiten. Ganz aufgekratzt sind sie. Erzählen. Wild durcheinander. Ziehen sich mit ihrer Beute zurück. Wollen sie zählen. Ihre Süßigkeiten. Auf die Hand gibt es noch ein Stück Pizza.
Wir gehen mit Josef in sein Zimmer. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich lege mir Josef auf meine Brust. Wir atmen zusammen. Bis er eingeschlafen ist. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 123. Sauerstoffsättigung 96. Wir geben der Schwester Bescheid.
Gehen zu Klara und den Kindern ins Jugendzimmer. Sie naschen ihre Süßigkeiten. Über 100 verschiedene Süßigkeiten haben sie erbeutet. Zusammen mit Klara gehen wir ins Elternzimmer. Klara erzählt. Von dem schönen Tag. Fragt, nächstes Jahr doch wieder? Vielleicht, sage ich. Vielleicht. Wir wissen ja nicht, was nächstes Jahr.
Uli liest Klara vor. Sie schläft gleich ein. So erschöpft ist sie. Irgendwann schlafen wir.
Zuletzt aktualisiert am: 29.10.2020