, Kinderhospiz

6.00 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich fühle mich ziemlich zerschlagen. Zerschlagen irgendwie. Ich pumpe Milch ab. Klara wird langsam neben mir wach. Sie fragt, ob sie etwas fernsehen kann. Nein, meine Sonne, heute geht es in die Schule.

Ich stehe auf. Wasche mich. Lasse die Badtür dabei etwas offen. Dann gehe ich ins Wohnzimmer. Nichts. Ruhe. Ich gehe in die Küche. Stelle die Milch in den Kühlschrank. Setze Wasser auf. Für Kaffee und Tee. Decke den Frühstückstisch.

Klara kommt in die Küche. Sie frühstückt. Ich trinke Kaffee. Ich bringe dich heute in die Schule, sage ich. Mh, sagt sie. Dann rufe ich im Kinderhospiz an. Werde verbunden. Spreche mit einer Schwester. Hier die Mama von Josef. Ah ja, ich gebe weiter, höre ich. Uli ist schon auf dem Weg zur Arbeit.

Wie war die Nacht, frage ich. Ganz ruhig. Gegen 3.00 Uhr hatte er etwas Probleme mit dem Sekret. Hat dann auch ein Ben-u-ron bekommen. Jetzt schläft er entspannt. Gut, sage ich. Gegen 15.00 Uhr werden Klara und ich da sein. Ich gebe es weiter, sagt die Schwester. Ich lege auf.

Denke, Josef, mein Josef, hast du auf mich gewartet in der Nacht um 3.00 Uhr. Ich bin etwas unruhig. Klara zieht sich an. Ich auch. Gemeinsam gehen wir los. Hand in Hand gehen wir zur Schule. Mit der anderen Hand schiebe ich mein Fahrrad.

Vor dem Schultor wartet Emma. Wie schön. Gemeinsam gehen sie in die Schule. Ich setze mich auf mein Fahrrad und fahre zur Kinderärztin. Es ist voll. Die Schwester nimmt mich gleich ran. Die Chipkarte von Josef wird eingelesen. Überweisungen werden ausgedruckt. Für das Kinderhospiz. Für die Palliativärztin. Extra Verordnungen für die Physiotherapie und Logopädie im Kinderhospiz. Tausend Dank, sage ich. Schon gut und Tränen zum Abschied.

Ich fahre wieder nach Hause. Was nun? Ich habe noch drei Stunden, bis ich Klara von der Schule abholen kann. Ich pumpe Milch ab. Ich kann doch nicht drei Stunden Milch abpumpen?

Ich laufe durch die Wohnung. Wie ein gefangener Tiger. Auf und ab. Durch alle Räume. Es arbeitet in mir. Josef ist im Kinderhospiz. Klara in der Schule. Uli auf der Arbeit. Ich hier. Merkwürdig ist das. Ein Baby gehört doch zur Mutter. Ich bin aber nicht dort. Und nicht wirklich hier.

Wo bin ich eigentlich? Ich pumpe Milch ab. Trinke Tee. Mache den Fernseher an. Schaue mir die bewegten Bilder an. Tränen laufen über mein Gesicht. Ganz ungehemmt. Ich schluchze und schreie ins Kissen. Alles raus. Keiner kann mich sehen. Ich bin nur für mich. Irgendwann wird es weniger. Stiller. Ich beruhige mich. Bin beruhigt. Endlich Raum dafür. Geschützter Raum.

Ich gehe ins Bad. Wasche mein Gesicht. Schaue in den Spiegel. Ein trotziges Gesicht. Und trotzdem, denke ich. Trotzdem leben wir. Ich packe die Sachen zusammen. Die Milchpumpe. Klaras Sachen. Die Muttermilch für Josef. Ich hole Klara von der Schule ab. Wir eilen zum Zug. Fahren los. Im Zug. Ich fühle mich geerdeter. Hier bin ich jetzt und fahre mit Klara ins Kinderhospiz zu meinem Sohn Josef, denke ich. So ist mein Leben jetzt.

Wir kommen an im Kinderhospiz. Wir gehen zu Josef. Eine Schwester ist bei ihm und eine Schwesternschülerin. Josef hat gerade eine Sauerstoffbrille. Ihm ging es gerade nicht so gut, sagt die Schwester. Ich nehme ihn. Küsse ihn. Wir sind wieder da, mein Josef.

Der Monitor piept. Der Sensor ist abgegangen. Ich halte ihn. Sage, ich glaube, er braucht den Sauerstoff nicht mehr. Er sieht rosig aus. Was denken Sie? Ja, sagt sie. Möchte trotzdem nochmal kurz die Werte. Gut, sage ich. Seine Sauerstoffsättigung ist bei 98. Herzfrequenz bei 138. Das ist in Ordnung, sagt sie. Ja.

Die Geschwisterbetreuerin kommt ins Zimmer. Nimmt Klara kurz mit. Dann kommen Klinikclowns. Schauen durch die Tür. Klara kommt hinzu. Klara ist erst verhalten. Kommt dann doch ins Gespräch mit den Clowns. Sie lacht. Auf einmal lacht sie aus vollem Herzen. Ich lache mit, weil es so schön ist. Dann verabschieden sich die Clowns. Bis nächsten Freitag! Oh ja, bis nächsten Freitag, sagt Klara.

Uli kommt. Kommt von der Arbeit. Nun sind wir alle wieder zusammen. Wie schön. Uli holt Kaffee aus dem Gemeinschaftsraum. Für Klara gibt es Kakao. Kuchen ist auch da. Den hat die Hauswirtschaftsfrau gebacken. Es ist gemütlich bei Josef. So sitzen wir bis zum Abendbrot.

Ich bringe die Sachen in die Elternwohnung. Pumpe Milch ab. Bin glücklich. Zusammen essen wir Abendbrot. Josef auf meinem Schoß. Pizza gibt es. Freitag wird Pizza gemacht. Ich gebe Josef seine Milch. Halte ihn. Sage, wir sind alle wieder zusammen. Wir sind da, mein Bär.

Uli inhaliert Josef. Josef schläft ein. Uli legt ihn in sein Bett. Die Schwester kommt. Schlaf gut, mein Josef. Ich küsse ihn noch einmal. Dann gehen wir zu Klara in die Elternwohnung. Schauen zusammen Kinderfernsehen. Uli liest Klara vor. Macht ein Hörspiel an. Ich pumpe Milch ab. Bringe sie zu Josef. Er schläft. Die Schwester stellt die Milch in den Kühlschrank.

Dann schlafe auch ich. Müde bin ich. Sehr müde.

Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Stehe auf. Bringe sie zu Josef. Josef ist wach. Ich halte ihn kurz. Den Josef. Er schwitzt. Ich gebe ihm ein Ben-u-ron. Er schläft ein. Mein Josef schläft ein. Der Pfleger legt Josef in sein Bett. Ich gehe auch ins Bett. Schlafe nicht gleich ein.

Zuletzt aktualisiert am: 30.03.2020


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