, Kinderhospiz

Um 6.30 Uhr bin ich wach. Klara liegt neben mir. Ganz eingekuschelt. In meinem Kopf kreisen die Gedanken. Ziehen ihre Kreise. Ich finde keinen Anfang und kein Ende. Lasse sie Kreise ziehen. Fange sie nicht ein. Lass sie doch, denke ich. Lass sie doch.

Ich versuche zu lesen. Kann mich kaum konzentrieren. Irgendwann stehe ich auf. Das Zimmer ist dunkel. Auf der rechten Seite ist ein Fenster. Es geht zum Hof raus. Klara schläft. Es ist schön, sie anzusehen, wie sie schläft. Ganz unschuldig wirkt sie. An was soll sie denn auch Schuld haben?

Ich gehe aus unserem Zimmer über den langen Flur ins Wohnzimmer. Vom Wohnzimmer geht ein Balkon ab. Ich öffne die Balkontür und gehe raus. Es ist kühl. Aber. Die Sonne zeigt sich schon. Einatmen und Ausatmen.

Ich kann das Meer riechen. Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Heimliche Tränen. Mein Herz ist schwer. Einatmen und Ausatmen. Josef hat es gut im Kinderhospiz, denke ich. Weiß ich. Ich weiß es einfach. Er hat es gut. Uli auch. Denke ich. Uli auch. Ich gehe wieder in unser Zimmer. Klara ist wach. Gut geschlafen hat sie. Ich kuschele mich nochmal ins Bett. Wir sind still miteinander.

Gegen 8.00 Uhr stehen wir auf. Ich rufe Uli an. Er ist gerade auf dem Weg zu Josef. Hat unruhig geschlafen. Es ist so ungewohnt, sagt er. Ganz allein in der Wohnung. Das glaube ich dir, sage ich. Glaube ich dir. Wir legen auf.

Nach und nach werden alle wach. Kommt Leben in die Ferienwohnung. Der Tisch wird gedeckt. Kaffee gekocht. Wir erzählen. Lachen. Es ist schön. Ich genieße es. Erlaube es mir, zu genießen.

Gegen 11.00 Uhr rufe ich Uli an. Frage nach Josef. Alles gut, sagt Uli. Alles gut. Im Kinderhospiz ist es ein anderes „gut“, denke ich. Es ist ein anderes „alles gut“ als bei uns zu Hause. Im Kinderhospiz wird anders gewertet. Einsortiert. Gehört obstruktive Atmung zu Josef. Gehören Krämpfe zu Josef. Gehören Temperaturschwankungen zu Josef. Sind diese Zustände nicht ungewöhnlich.

Von einer Krise wird im Kinderhospiz erst dann gesprochen, wenn es keine Optionen mehr gibt. Zu helfen. Die Zustände zu verändern. Dann ist nicht mehr „alles gut“. Josef ist sicher dort. Im Kinderhospiz. Das weiß ich. Einatmen und Ausatmen.

Wir gehen langsam los. Ans Meer. Wir müssen über eine Anhöhe. Dann sehen wir es. Das Meer. Es rauscht. Die Sonne scheint. Es ist überwältigend. Ich vermisse Josef und Uli. Bin glücklich, dass Klara da ist. Wir bringen den Männern einfach das Meeresrauschen mit.

Den Tag verbringen wir am Meer. Essen Fischbrötchen. Eis. Gehen einkaufen. Für das Abendessen. Kaufen Karten. Innerlich bin ich angespannt. Kann dennoch genießen. Die geschenkte Zeit mit Klara. Die geschenkte Normalität.

In der Ferienwohnung kochen wir zusammen. Essen. Erzählen. Lachen viel. Die Kinder werden irgendwann ins Bett gebracht. Ich rufe Uli an. Frage, wie es ihm geht. Wie es Josef geht. Ungewohnt, sagt Uli. Schon okay, sagt er auch. Josef geht es gut, sagt Uli. Am Nachmittag hat Josef viel geschlafen. Seine Augen haben sich nach rechts bewegt. Josef hat ein wenig gekrampft. Es hörte von allein auf, sagt Uli.

Mein Herz schmerzt. Und doch weiß ich, es gehört zu Josef. Und mein Herzschmerz kann es nicht ändern. Einatmen und Ausatmen. Wir wünschen uns eine gute Nacht. Ruhigen Schlaf.

Danach sitzen wir Freundinnen verschwörerisch zusammen. Erzählen uns von den früheren Reisen. Von dem Leben in den Wohngemeinschaften. Von Festen. Von. Von und von. Es ist schön. Schön und schmerzhaft. Woher kommt nur der Schmerz?

Gegen Mitternacht gehen wir ins Bett. Unruhig bin ich. Unruhig. Aus dem gewohnten Pflegeraster gefallen. Bin erstaunt, was es mit mir macht. Wie schwer es ist, mich umzustellen. Mich zurechtzufinden. In Situationen, die für andere Menschen normal sind. Es ist doch normal, in den Urlaub zu fahren? Oder? Für uns nicht. Für uns ist das Normale nicht mehr normal. Wird fremd. Manchmal.

Und doch kann ich es genießen. Hier zu sein. Wenn ich es zulasse. Irgendwann schlafe ich. Das Telefon immer bei mir. Damit ich mitbekomme, wenn was ist.

Zuletzt aktualisiert am: 29.03.2021


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