Ich bin da, schreibe ich. Bin da. Fühle mit euch. Dann gehe ich los. Laufen.
Leichter Schlaf. Wacher Schlaf. Schlafen und wach sein. Es ist dunkel. Uli steht auf. Ich lasse ihn. Lasse ihn in Ruhe wach werden. Bleibe liegen. Geschlossene Augen.
Ich höre Klaras Wecker klingeln. Es ist kurz vor 6.00 Uhr. Sie steht auf. Ich lasse sie. Lasse sie in Ruhe im Morgen ankommen. Bleibe liegen. Meine Freundin. Gestern durfte sie Besuch bekommen. Von ihrem Mann und ihrem Sohn. Einige Tage war es nicht möglich. Nicht möglich, wurde gesagt. Wegen der Ansteckungsgefahr. Wegen was? Jetzt?
An Josef gedacht. Meinen liebsten Josef. Schaut doch hin, denke ich. Schaut. Um was geht es? In dieser Situation? Es geht um einen sterbenden Menschen. Was ist wichtig? In diesem Moment? Was? Einatmen und Ausatmen.
Und gestern. Gestern durften sie da sein. Durften ihr erzählen. Berührungen. Sie war nicht mehr ganz da, sagt ihr Mann. Oder doch. Berührungen. Streichelnde Hände. Abschied, an dem Tag. Freude. Morgen sehen sie sie wieder. Morgen Nachmittag, hat mir ihr Mann erzählt. Grüße hat er bestellt. Von mir. Grüße.
Danke, habe ich gesagt. Ich bin ganz berührt. Von so viel berichteter Zärtlichkeit. Von so viel Nähe. Intimität. Geschenke. Ganz behutsame Geschenke. Für mich. Anteil zu nehmen.
Ich stehe auf. Gehe in die Wohnküche. Klara frühstückt. Kaffee für mich. Er ist noch heiß, sagt Uli. Noch heiß. Ich setze mich. Fühle mich benommen. Etwas benommen und weiß nicht, warum.
Jette kommt in die Küche. Die letzten Meter rennt sie. Rennt mir in die Arme. Jette, meine Jette. Ich küsse sie. Setze sie auf meinen Schoß. Wir sitzen. Ich halte sie in meinen Armen. Rieche an ihren Haaren. Sie duftet. Duftet so gut.
Klara verabschiedet sich. Geht los. Los in die Schule. Hab einen guten Tag, meine Klara. Danke, sagt sie. Uli schließt die Tür. Der Morgen. Ganz dumpf. Das Radio läuft. Frühstück.
Jette spielt. Wie jeden Morgen spielt sie. Ab und zu küsse ich sie. Wir suchen ein Kleid raus. Ganz groß muss es sein. Ganz groß und schön. Bis zu den Füßen soll es gehen. Das Kleid. Endlich haben wir eins gefunden. Das mit dem Einhorn. Das Glitzereinhorn. Mütze. Schal. Hose. Jacke. Kuscheltier in den Rucksack. Helm auf. Auf das Fahrrad setzen. In die Kita fahren.
Der Morgenkreis hat schon begonnen. Küsse. Ich fahre zurück. Nach Hause. Ganz benommen fühle ich mich heute. Wie in Watte. Komme nicht an in dem Tag. Kann nicht greifen. Kann den Tag nicht greifen. Weiß nicht, was ich mit dem Tag anfangen soll.
Dann. Eine Nachricht. Meine Freundin ist gestorben. Eben. Gestorben. Gestorben. Gestorben. Ein Glück, denke ich, gestern wart ihr da. Berührungen. Worte. Ein Glück. Für diese Momente. Sie hat gewartet. Diese Berührungen. Worte. Waren so wichtig. Das Da-Sein. War so wichtig. Ein Glück, gab es diesen Moment. Gestern.
Das tröstet mich. Tröstet mich in meinem Schmerz. Tröstet mich. Einatmen und Ausatmen. Stille. Nun Stille. Es gibt nichts zu tun. Stille. Sie kann noch bei euch bleiben, schreibe ich.
Drei Tage kann sie bei euch bleiben. Könnt ihr spüren. Bei ihr sein. Das ist mir wichtig zu schreiben. Weil es so wichtig war. Für mich. Für uns. Damals mit Josef. Die drei Tage nach dem Tod. Die drei Tage danach. So viel begriffen in der Zeit. So viel begriffen. Berührt. Geweint. Gelacht. Josef gehalten. Ganz kalt war er. Ganz kalt. Küsse auf kalter Haut. Küsse. Immer wieder Küsse. Einatmen und Ausatmen.
Ich bin da, schreibe ich. Bin da. Fühle mit euch. Dann gehe ich los. Laufen. Erst ganz schnell. Dann langsam. Ganz langsam. Ein Fuß vor dem anderen. Höre das Laub von den Bäumen fallen. Das Eichhörnchen den Baum hochklettern.
Bilder im Kopf. Von ihrem letzten Geburtstag. Dem letzten gemeinsamen Kaffee. Wir haben gelacht. Gelacht haben wir. Viel gelacht. Mein Herz. Schmerzt. Tränen. Dann Tränen. Leise Tränen. Schmerzende Tränen. Schmerztränen. Irgendwann fließende Tränen. Fließender Schmerz.