Ich durfte euch gebären. Ich darf für euch da sein. Euch begleiten.
Kinderstimmen dringen ins Schlafzimmer. Ich bin wach. Es ist 7.30 Uhr. Jette liegt neben mir. Angekuschelt. Ich küsse sie. Küsse, meine Jette. Küsse.
Dein Bruder hat heute Geburtstag. Josef. Josef, unser Josef. Acht Jahre wird er. Acht. Uli ist in der Küche. Setzt Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Klara ist in der Schule. Hat sich schon auf den Weg gemacht. Ein Stück Geburtstagskuchen hat sie gegessen. Geburtstagskuchen in ihrem Bauch. Tröstend. Der Gedanke. Tröstenden Geburtstagskuchen in ihrem Bauch.
Jette und ich. Wir verteilen Konfetti. Überall. Zünden eine große Kerze an. Für Josef. Josef, mein Josef. Acht Jahre bist du nun. Acht. Jette möchte Bilder sehen. Bilder von ihrem Bruder. Von Josef. Sie möchte Geschichten hören. Ich hole die Kiste mit den vielen Bildern.
Josef, mein Josef. Wie schön du doch bist. Wunderschön. Ganz nah bist du mir. Josef, mein Josef. Deine schönen Locken. Deine Augen. Dein wunderschöner Mund. Ich küsse ein Bild. Ganz versunken.
Und da, meine Jette. Auf diesem Bild. Da siehst du Josef mit uns an der Ostsee. Hörst du das Meeresrauschen?. Siehst du unser Glück? Unser zerbrechliches Glück in diesem Moment? Jette, meine Jette. Das ist dein Bruder Josef mit uns. Wir lachen zusammen. Schön ist es. Schön, zu erzählen. Immer wieder sagt sie, Mama das ist unser Zuhause. Ja, meine Jette. Ja. Josef war bei uns zu Hause. Er war bei uns.
Und dann. Dann schmerzt mein Herz. Tränen. Ich lächele. Weine nach innen. Wir essen den Kuchen. Singen ein Geburtstagslied. Dann geht sie mit Uli los. Los in die Kita. Ich küsse sie. Jette, meine Jette. Ich bin allein. Schalte das Radio aus. Die Kinder auf dem Schulhof sind in der Schule verschwunden. Es ist still.
Ich gehe auf den Balkon. Es regnet. Der kalte Wind in meinem Gesicht. Einatmen und Ausatmen. Ich fühle mich leicht und schwer zugleich. Der Schmerz wandelt sich. Verwandelt sich und mich. Webt sich ein. Verändert sich und mich. Ich gehe in die Wohnung. Uli ist zurück. Wir trinken Kaffee. Sind still. Packen Tee und Obst ein. Laufen zum Auto.
Es regnet. Wir fahren zu einem See. Regen. Wir laufen. Laufen und laufen. Sind still. Ich spüre nach. Damals. Vor acht Jahren. Warst du um diese Zeit noch in meinem Bauch, lieber Josef. Ganz gesund warst du da. Wir waren spazieren. An dem Tag. An deinem Geburtstag. Auf dem Weihnachtsmarkt. Einem ganz kleinen Weihnachtsmarkt. Schneeregen.
Am Nachmittag. Leichte Wehen. Wehen. Hätte ich dich schützen können? Josef, mein Josef? Ich bleibe stehen. Schaue auf den See. Der kalte Regen in meinem Gesicht. Er tut mir gut. Dieser Regen. Ganz klar fühle ich es. Josef, mein Josef. Du gehörst mir nicht. Auch damals nicht. In meinem Bauch.
Meine Kinder gehören mir nicht. Auch Klara nicht. Nicht Jette. Ich durfte euch gebären. Ich darf für euch da sein. Euch begleiten. Halten, wenn ihr meinen Halt braucht. Meine Kinder. Aber ihr gehört mir nicht. Ich habe keinen Anspruch auf euch. Keinen Anspruch. Einatmen und Ausatmen.
Josef, mein Josef. Ich verstehe. Verstehe und fühle. Fühle jetzt und kann lassen. Einatmen und Ausatmen. Wir laufen. Laufen und laufen. Reden. Ein wenig. Leichtes und Schweres. Ganz durchnässt sind wir am Auto. Fahren nach Hause. Sind gut heute mit uns. Verlangen nichts voneinander. Zu Hause. Uli kocht Nudeln. Josefs Kerze brennt. Wir sind still. Miteinander.