Letzte Nacht war Josef da. Einatmen und Ausatmen. Josef mit 7 Jahren. Locken hatte er. Blonde Locken.
Es ist 8.00 Uhr. Ich fühle mich schwer. Ganz schwer ist mein Körper. Ganz schwer. Das Licht schimmert durch die Gardine. Jette wirft sich auf mich. Mama, aufstehen. Ich drücke sie an mich. Küsse sie.
Mein Herz. Schmerz. Tränen. Ich küsse meine Jette. Wische mir Tränen aus dem Gesicht. Stehe auf. Nehme Jette auf meinen Arm. Sie kuschelt sich an mich. Sie duftet wunderbar. Einatmen und Ausatmen.
Wir gehen in die Küche. Uli sitzt am Tisch. Der Kaffee ist schon kalt. Klara ist schon los. Losgegangen in die Schule. Uli setzt Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Ich setze mich in den Sessel. Jette auf meinem Schoß. Buch vorlesen, sagt sie. Wie heißt es richtig? Mama, kannst du mir bitte das Buch vorlesen? Sie kuschelt sich an mich.
Ich lese. Verstehe nicht, was ich lese. Verstehe es nicht. Bin noch nicht da. Bin noch in der Nacht verhangen. Im Gestern. In den letzten Wochen. Den Fragmenten, die sich fügen. Zusammensetzen. Auseinanderfallen. Josef.
Letzte Nacht war Josef da. Einatmen und Ausatmen. Josef mit 7 Jahren. Locken hatte er. Blonde Locken. Er legte sich zu uns ins Bett. Konnte nicht schlafen. Kuschelte sich an mich. Dann. Schmerz. Tränen. Ein reißender Schmerz. Einatmen und Ausatmen. Atmen nicht vergessen, Anne. Atmen.
Josef, mein Josef. Da hast du mich besucht. Uns. Du warst da. Bist immer da. Josef, mein Josef. Jette sagt, weiterlesen Mama. Ja, sage ich. Ja. Weiterlesen. Weitermachen. Weiter.
Mein Körper sagt, innehalten. Anhalten. Spüren. Pause vom Weitermachen. Pause.
Uli deckt den Tisch. Jette möchte Ulis Müsli essen. Gut sagt Uli, gut. Jette setzt sich an den Tisch.
Ich gehe auf den Balkon. Es ist kühl. Die Luft duftet. Einatmen und Ausatmen. Vor mir die Schule. Die Schule wird geschmückt. Für die Einschulungsfeier morgen.
Josef würde in die zweite Klasse kommen. Wahrscheinlich wäre er aufgeregt.
Ich gehe wieder in die Küche. Jette ist mit dem Frühstück fertig. Zieht sich an.
Dann gehen sie los. Jette und Uli. Jette fährt mit ihrem Fahrrad. Tschau Kakao, rufen wir uns zu. Tschau Kakao. Tschau Kakao.
Ich lege mich in mein Bett. Tränen. Der Schmerz. Wandelt sich. Ich dachte, er wird sanfter. Der Schmerz. Mit der Zeit. Dachte und dachte. Und denke, ach. Das Denken. Kann nicht denken, wie ich mich wo fühle. Kann es nicht denken. Nicht vorfühlen. Nicht vorweinen. Nicht vor-glücklich-sein. Das Gefühl ist nur in dem Moment. Einatmen und Ausatmen.
Ich stehe wieder auf. Schiebe die Gardinen zur Seite. Lasse das Licht ins Schlafzimmer. Ein zweiter Versuch, dem Tag zu begegnen. Ich gehe in die Küche. Trinke Kaffee. Setze mich in meinen Sessel. In meinem Kopf. Fragmente.
Vor zwei Wochen habe ich ein schwer krankes Mädchen auf der Kinderintensivstation besucht. Ganz vertraut war dieser Ort. Vertraut. Ich habe mich sicher gefühlt. Wie damals auf der Kinderintensivstation. Ganz verrückt.
Ich hatte ein Gefühl von Angst erwartet. Unwohlsein. Und dann habe ich mich ganz anders gefühlt. Vertraut und sicher. Das Gefühl, ich kenne diesen Ort. Einatmen und Ausatmen.
Das Mädchen. Wir schauten einander an. Betrachteten uns. Sie konnte wieder allein atmen. Seit einem Tag. Stolz bin ich. Stolz auf dieses Mädchen. Sie atmet wieder allein. Dann bin ich wieder gegangen. Der Mama habe ich über den Arm gestreichelt. Wir denken an einander.
Dieser Besuch wirkt nach. Sortiert sich in mir. Ein angstbesetzter Ort löst in mir Sicherheit aus. Bedeutungen von Orten und Situationen haben sich durch Josef verändert. Gewandelt und verändert. Mein innerer Kompass hat sich verändert. Einatmen und Ausatmen.
Uli ist wieder da. Kaffee? Ja, Kaffee. Ganz heiß. Uli setzt sich in Josefs Zimmer. Das Arbeitszimmer. Josef schaut uns zu. Sein großes Bild hängt an der Wand. Gehört dazu. Josef, mein Josef. Ich spüre Neugierde. Neugierde auf den Tag. Darauf, was mir wie begegnen wird. Wie es sich anfühlt. Wir trinken noch einen Kaffee zusammen.
Uli arbeitet. Ich laufe. Laufe um zu begreifen. Einatmen und Ausatmen. Atmen nicht vergessen. Atmen.