Plötzlich. Alle sind die Anderen. Wir sind alle die Anderen. Denen was passiert. Die in einen Zustand geraten.

Es ist 5.50 Uhr. Ich höre das Klicken des Weckers. Jetzt würde er klingeln, wenn ich ihn gestellt hätte. Jetzt würde ich aufstehen. An normalen Tagen. An normalen Wochentagen. An. An. An. Jette wirft sich auf mich. Mit ihrem kleinen warmen Körper. Guten Morgen, sagt sie. Heute ist ein schöner Tag, sagt sie.

Ich küsse sie. Drücke sie an mich. Sie fühlt sich so lebhaft an. Ganz lebendig. Lebendig. Ihr Muskeln spannen sich an. Sie windet sich aus meiner Umarmung. Josef konnte das nicht. Konnte das nie. Ach. Jette, meine Sonne. Ach. Josef, mein Josef. Uli steht auf. Jette zieht meine Decke weg. Sagt, Mama komm. Aufstehen.

Ich habe unruhig geschlafen. Unruhig und angespannt. Die Welt gerät aus den Fugen. Die Welt da draußen. Was soll das bedeuten? Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Jette kommt zu mir. Ich setzte sie auf die Toilette. Sie pullert. Von ganz allein. Sie sitzt auf der Toilette und pullert und ist so stolz darauf. Ich auch, meine Jette. Ich auch.

Josef, mein Josef. Du. Ach. Du. Du musst nicht müssen, mein Josef. Du musst nicht. Und wir auch nicht, denke ich. Wir doch auch nicht. Uli hat Wasser aufgesetzt. Für Tee und Kaffee. Ich gehe auf den Balkon. Es duftet nach Erde. Erde und Frühling. Es wird ein schöner Frühlingstag.

Ich schaue nach dem Fuchs. Uli hat ihn letztens gesehen. Den Fuchs. Unseren alten Bekannten. Vielleicht traut er sich bald wieder raus. Jetzt, wo die Schule geschlossen wird. Es ruhiger wird. Ach. Fuchs. Jette ruft, Mama. Ich gehe wieder rein. Lese ihr ein Buch vor.

Wir hören Nachrichten. Sie rauschen an mir vorbei. Ich höre: zu Hause bleiben. Das öffentliche Leben wir weitestgehend eingestellt. Ich höre. Kann nicht begreifen. Weiß nicht, wie sich das anfühlen wird. Weiß es nicht. Höre nur.

Wir trinken Tee. Kaffee. Wir frühstücken. Klara kommt. Ganz verschlafen. Dann ziehen sich Klara und Uli zurück. Ins Arbeitszimmer. In Josefs ehemaliges Zimmer. Uli arbeitet. Klara lernt. Arbeitet die Aufgaben der Schule ab.

Mein Herz angespannt. Angespannt und eingespannt. Wie in einem Schraubstock. Er ist noch nicht zu sehr festgedreht. Ich kann noch atmen. Einatmen und Ausatmen. Ganz ruhig. Nur nicht zu tief. Dann schmerzt es. In meinem Kopf. Durcheinander. Will sortiert werden. Oder nicht? Nur fließen. Fließen lassen. Das im Kopf und im Herz. Im Bauch. Das auch.

Die Welt aus den Fugen. Plötzlich ist alles anders. Das kenne ich doch. Ich kenne doch dieses Gefühl. Von Hineingeworfen-Sein. In eine Situation. Nein, das beschreibt es nicht. Es ist keine Situation. Ein Zustand. Es ist ein Zustand. Ein Zustand, den ich nicht erwartet habe. Der alles außer Kontrolle wirft. Kontrollverlust. Einatmen und Ausatmen.

Plötzlich waren wir die Anderen. Damals. Die Anderen. Die Anderen, denen etwas passiert. Denen was geschieht. Denen, bei den was Schlimmes passiert. Wir waren die, die sich anpassen mussten. An den Zustand. Alles war anders. Ganz plötzlich. Wir lebten in einer anderen Welt. Plötzlich. Von jetzt auf gleich.

Und jetzt. Jetzt sind da auch diese Gefühle. Von damals. Wir müssen uns anpassen. An den Zustand. Jette und Klara betreuen. Uli. Uli im Homeoffice. Ich. Ich weiß noch nicht, wie ich arbeiten kann. Kann ich denn noch? Geht das noch?

Nur diesmal verändert sich die Welt da draußen. Plötzlich. Alle sind die Anderen. Wir sind alle die Anderen. Denen was passiert. Die in einen Zustand geraten. Sind wir alle die Anderen? Einatmen und Ausatmen.

Ich sortiere Sachen. Alte Sachen von Jette. Packe sie in Kisten. Für meinen kleinen Neffen. Jette springt durch die Wohnung. Verkleidet sich. Wir lachen viel. Sie singt: Immer wieder kommt ein neuer Frühling. Immer wieder kommt ein neuer März. Ich küsse sie. Drücke sie wild an mich.

Mir laufen Tränen. Weil ich so schmerzhaft glücklich bin. Wir sind alle zusammen. Hier zu Hause. Wir sind gesund. Nicht unmittelbar vom Tod bedroht. Das ist der Unterschied. Der Unterschied zu damals. Jetzt sind wir nicht unmittelbar vom Tod bedroht. Das sind wir nicht. Einatmen und Ausatmen.

Klara kommt. Sie ist fertig mit den Aufgaben für heute. Ich koche uns Nudeln. Nudeln mit Pesto. Uli setzt sich zu uns. Macht Mittagspause. Dann gehen wir raus. Raus. So lange es noch geht. Jette schiebt ihren Puppenwagen. Uli den Kinderwagen. Wir gehen durch den Park. Dann einkaufen. Milch, Reis und Maiswaffeln.

Die Sonne scheint. Ein Frühlingstag. Immer wieder kommt ein neuer Frühling. Immer wieder kommt ein neuer März.

Zu Hause. Ich lege Jette zum Mittagsschlaf in unser Bett. Sie atmet ganz gleichmäßig. Einatmen und Ausatmen. Ich küsse sie. Ganz sanft. Sie atmet wie diese Stadt. Ganz leise und gleichmäßig. Sie atmet. Und wird nicht aufhören. Das weiß ich.

Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

❤️ Mehr darüber, wie du uns unterstützen kannst.