Neujahr. Ein neues Jahr. Anfang. Es neu anfangen. Das Jahr. Glück haben. Eine Wohnung finden. In bester Lage. Sie bekommen. Einatmen und Ausatmen.
30.12.2018
Ich lege Josef auf meine Brust. Er atmet kräftig. Ich bin da, höre ich. Ich bin da. Das höre ich. Zwischen seinen Atemzügen. Josef schläft langsam ein. Ich lege ihn in sein Bett.
31.12.2018
Das Licht im Gemeinschaftsraum wird gedimmt. Ab und zu piept ein Monitor. Die Raketen steigen nach und nach mit den Wünschen in die Luft. Wir klatschen. Bei jeder Rakete.
01.01.2019
Das letzte Jahr war zu der Leichtigkeit schwer. Und das neue Jahr. Mit Sorgen und Ängsten erwartet. Hoffnung auf gute Tage. Glückliche Stunden. Ein schweres Silvester im Kinderhospiz. Und haben doch versucht, uns nichts anmerken zu lassen.
02.01.2019
Sie lächelt zurück. Ganz leicht. Lächelt sie. Dann frage ich, ob sie noch zum Frühstück kommen. Sie und ihr Sohn. Frage, wie es geht. Sie sagt, er schläft jetzt. In der Nacht war er wach. Es geht ihm nicht gut, sagt sie.
03.01.2019
Uli und ich erzählen von der Wohnung. Die wir uns gleich anschauen werden. Gleich gegenüber vom Kinderhospiz. Wir lachen. Weil wir schon so oft davon erzählt haben, wie gut das wäre. Gleich hier zu wohnen. Kurze Wege zu haben.
04.01.2019
Um 17.00 Uhr hat Josef 39,7. Uli gibt ihm ein Paracetamol. Seine Füße und Beine sind kalt. Wir entscheiden uns gegen Wadenwickel. Josef zittert. Schüttelfrost. Ich halte ihn.
05.01.2019
Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Er ist angespannt. Ich habe das Gefühl, jede Berührung ist ihm unangenehm. Ich nehme ihn wieder in den Arm. Setze ihn dann in den Therapiestuhl.
06.01.2019
Ich freue mich. Josef. Zeigt so viel. Was ist nur mit dem Fieber am Abend? Was ist das nur? Um 10.30 Uhr klingelt es. Der Arzt und die Schwester vom SAPV-Team. Josef wird abgehört. Untersucht. Urin abgenommen. Keine Infektanzeichen.
07.01.2019
Ich schalte den Monitor aus. Küsse ihn. Frage, Josef, was meinst du? Ziehen wir um? Wir zusammen? Wer weiß, sagst du? Wer weiß?
08.01.2019
Es dreht sich alles. Alles dreht sich. Uli steht fest. Fest auf dem Boden. Holt mich zurück. So schwindlig ist mir schon. Zwischendurch nehme ich Josef. Küsse ihn. Frage, Josef. Machen wir es so? Ziehen wir um?
09.01.2019
Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie auf den Kopf. Halte sie kurz. Fest. Alles gut, Mama, fragt sie. Ja, sage ich. Alles gut. Denke, nichts ist gut. Gerade. Einatmen und Ausatmen.
10.01.2019
Es fühlt sich an, als würden wir Josef noch einmal neu annehmen. Noch mal wieder neu. Zulassen, dass es mit ihm ist, wie es ist. Wir ihn halten können. Ihm etwas geben können. Gegen die Schmerzen und die Krämpfe. Aber. Aber nicht heilen.
11.01.2019
Unser Besuch. Sagt, wäre es nicht besser. Josef zieht allein ins Kinderhospiz und ihr lebt euer Leben hier weiter? Nein, sage ich. Nein. Das wäre nicht besser. Wir verabschieden uns. Für immer.
12.01.2019
Das Fenster öffnet sich nur wenigen vertrauten Menschen. Menschen, denen wir uns zumuten können. Menschen, die uns nicht bewerten. Menschen, denen wir uns zeigen können. Ohne Verletzungen zu befürchten.
13.01.2019
Vielleicht ist es ja gut, sage ich zu Uli. Wenn ich am Nachmittag mit den Kindern allein bin. Wie eine normale Familie. Wir sind keine normale Familie, sagt Uli. Ich weiß, sage ich. Ich weiß es doch. Wir müssen ja Kompromisse eingehen.
14.01.2019
Mein Telefon klingelt. Die Schwester. Sagt. Josef krampft seit 20 Minuten. Er dreht den Kopf nach rechts oben. Die Augen gehen auch nach rechts. Er stöhnt. Ich sage, gebe ihm das Notfallmedikament. Wir kommen. Ja, sagt sie. Beeilt euch.
15.01.2019
Er schläft. Tief und fest. Ist in einer anderen Welt. Unser Josef. Weit weg. Weit weg. Ich spüre eine Unsicherheit in mir. Ich bin unsicher, ob Josef mitkommt. Er überhaupt noch so lange bei uns bleibt.
16.01.2019
Spreche mit Josef. Sage, wir ziehen um, mein Josef. In eine andere Wohnung. In eine andere Stadt. Dort wird es gut, sage ich. Das Kinderhospiz wird nicht weit sein. etwas sein sollte, ist schnell jemand da. Für dich. Für uns.
17.01.2019
Wie wichtig das ist. Zeit zu haben. Für jedes einzelne Kind. Josef, denke ich. Du bist ein großartiger Bruder. Du weißt, wann Klara Zeit braucht mit ihren Eltern. Das machst du gut, mein Josef. Ich küsse Josef.
18.01.2019
Die Mutter sagt, es ist traurig, dass ihr wegzieht. Unsere Tochter ist traurig. Sie hängt an Klara. Ja, sage ich. Ja. Kommt uns doch besuchen. So weit ist es nicht weg. Ja, sagt die Mutter. Vielleicht.
19.01.2019
Wohin nur mit uns? Den ganzen Gefühlen? Der Vorfreude? Dem Abschied? Der Unsicherheit. Muten wir uns nicht zu viel zu? Muten wir Josef zu viel zu? Klara? Unserer Klara? Uns? Was ist mit uns? Einatmen und Ausatmen.
20.01.2019
Ich komme gleich ran. Sitze vor ihr. Ich schiebe ihr das Schreiben von dem Sozialarbeiter des Kinderhospizes zu. Dort steht. Ich kann nur im unmittelbaren Umfeld arbeiten. Weil mein Kind palliativ krank ist. Sterben kann. Jederzeit.
21.01.2019
Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester hält Josef im Arm. Ich streichele seinen schönen Kopf. Küsse Josef nicht. Traue mich nicht. Die Schwester ist nur selten da. Wir kennen uns kaum. Ich frage nach der Nacht.
22.01.2019
Alles nach Plan, denke ich. Alles nach Plan. Doch. Was nutzt er schon? Der Plan. Er schützt nicht. Vor Krisen. Das Leben ist kein Plan. Es gibt ihn nicht. Den Lebensplan. Gibt es nicht. Einatmen und Ausatmen.
23.01.2019
Mir ist nicht nach Ausgehen. Wir entscheiden uns. Etwas essen zu gehen. In der Pizzeria in unserem Haus. Dann sind wir gleich wieder da. Wenn was ist.
24.01.2019
Josef atmet mit seinem ganzen Körper. Solange Josef atmet, lebt er. Josef lebt. Ich spüre das Leben in ihm, mit jedem Atemzug. Kraftvoll. Mein Josef. Du bist kraftvoll. Ganz bei uns. Ich spüre dich ganz bei uns.
25.01.2019
Uns kommt ein Mann entgegen. Mit seinem Hund. Seiner Frau. Einem Kinderwagen. Wir kennen uns. Vom Sehen. Nun ist es da. Das Kind. Denke ich. Alles gut gegangen. Wie so oft. Oft geht ja alles gut. Nur bei uns. Da ging es nicht. Gut.
26.01.2019
Josef ist aufmerksam. Er dreht seinen Kopf. Nach rechts. Hat er auf den Reiz reagiert? Josef, mein Josef. Hast du? Oder war es Zufall? Oder ein Krampf? Ich nehme Josef. Küsse ihn. Verabschiede die liebe Logopädin. Umarme sie. Zum Abschied.
27.01.2019
So viele Kisten. Josef, mein Josef. Wir ziehen um. Machen etwas anders. Verändern uns. Was sagst du dazu? Kommst du mit? Die Frage treibt mich um. Josef, mein Josef. Kommst du mit? Oder nicht?
28.01.2019
Wir erzählen. Uli, die Physiotherapeutin und ich. Über die Dinge die anstehen. Über die Schlüsselübergabe. Heute. Über unsere Aufregung. Unsere Traurigkeit. Wollen sie gern mitnehmen. Doch wir können nicht alles haben. Oder?
29.01.2019
Er findet nicht zur Ruhe. Unser Josef. Heute. Bahnt sich eine Krise an? Ich schiebe ihn weg. Den Gedanken. Bitte keine Krise herbeidenken, Anne, sage ich mir. Wie ein inneres Mantra. Keine Krise herbeidenken.