Gespräche. Intensive Gespräche. Mit dem SAPV-Team und dem Pflegedienst. Um Verständnis werben. Erklären. Immer wieder neu. Anders. Nicht gehört werden. Annehmen. Das Unverständnis annehmen.
30.06.2019
Die Schwester sagt, sie fragt nach. Sie ist unsere Teamleitung. Wird sich kümmern. Sagt, sie ist bei uns. Sie. Wird Josef nicht reanimieren. Sie wird uns wecken. Sie, sagt sie. Sie ist dankbar für unsere Klarheit. Und Offenheit.
01.07.2019
Wenn ich allein bin mit Josef und er aufhört zu atmen. Dann mache ich alles. Hole den Notarzt. Die Ärztin sagt, die Eltern wollen das nicht. Das ist mir egal, sagt sie. Wenn ich allein bin. Gut, sage ich. Dann wirst du nicht allein sein.
02.07.2019
Ich fühle mich beschwingt. Meine Gedanken. Vielleicht war es eine von den Krisen. Davon wird erzählt. Die Kinder haben schwere Krisen und danach entwickeln sie sich. Vielleicht. Meine Gedanken und Gefühle schweben.
03.07.2019
Ich rufe beim Bundesverband Kinderhospiz an. Sage, wir nehmen das Angebot an. Werden drei Tage ins Hotel fahren. Ohne Josef. Leider. Das ist gut, sagt sie. Dass sie das Angebot annehmen. Sie brauchen eine Pause. Ja, sage ich. Ja.
04.07.2019
Klara ist glücklich. Das ist schön. Wie kann das gehen? Letzte Woche der Tod. Diese Woche das Glück. Das geht, denke ich. Das geht. Ich lerne von dir, mein Josef. Ich lerne von dir, meine Klara.
05.07.2019
Ich stelle mich zu Josef. An sein Bett. Streichele seine Locken. Küsse ihn. Flüstere ihm Liebesschwüre in sein Ohr. Bedanke mich. Für die Tage. Stunden. Wochen. Für all das, was er uns schenkt, unser Josef. Unser Sohn.
06.07.2019
Versprechen kann er es nicht. Ja, sage ich. Ich weiß. Versprochen kann nichts werden. Wir lachen. Und doch meine ich es ernst. Woher wissen wir, ob Josef noch leben wird? In 2-3 Monaten? Die Hilfsmittel brauchen wird?
07.07.2019
Uli holt das Notfallmedikament. Draußen. Fängt es an zu gewittern. Nach 10 Minuten fällt Josef auf meinem Arm zusammen. Er hat keine Körperspannung mehr. Kein Zucken. Er schläft. Oder? Wo bist du, mein Josef? Wo?
08.07.2019
Wir gehen spazieren. Zusammen. Halten es nicht mehr so gut aus. Immer in der Wohnung zu sein. Wollen raus. Mit den Kindern. Raus. Ins Leben. Noch mehr raus, je dichter das Sterben rückt.
09.07.2019
Die Pflegedienstleitung. Sagt. Ich muss das mit meinen Pflegekräften besprechen, ob sie sich das bei euch zutrauen. Uli. Sagt. Ist es für die Pflegekräfte freiwillig, ob sie zu uns kommen? Jetzt? Ja, sagt die Pflegedienstleitung.
10.07.2019
Vielleicht ist es moralisch zu verwerflich, zu wünschen, dass Josef sterben darf? Wenn sein Leben vorbei ist, darf er sterben. Muss nicht noch einmal wiederbelebt werden. Muss nicht an Maschinen leben. Vielleicht darf man das nicht denken?
11.07.2019
Dann gehen wir ans Meer. Klara rennt. Rennt. Rennt und rennt. Schreit. Weint. Ich fange sie ein. Versuche es. Sie kämpft. Mit mir. Mit sich. Sie ist voll. Voll von Gefühlen. Sie bahnen sich ihren Weg. An diesem Abend. Am Meer.
12.07.2019
Wir atmen. Ganz viel. Frische Meeresluft. Schreien gegen das Meer. Fragen es. Nach dem Morgen. Dem Gestern. Kannst du uns helfen, Meer? Zu begreifen? Es rauscht. Rauscht wie Josefs Atem. Einatmen und Ausatmen. Danke, liebes Meer.
13.07.2019
Kann ich mich auf das Sterben vorbereiten? Wie auf eine Geburt? Sterbevorbereitungskurs? Einatmen und Ausatmen. Vor Wochen hätte ich noch nicht einmal gewagt, so konkret daran zu denken. Nicht gewusst, wie ich die Gedanken aushalten soll.
14.07.2019
Uli und ich. Wir setzen uns auf den Balkon. Schauen auf die Schule. Gehen ins Bett. Irgendwann. Müssen nicht auf den Nachtdienst warten. Müssen keine Rücksicht nehmen. Lassen die Türen auf.
15.07.2019
Dann gehe ich zu den Gästen. Zu jedem Einzelnen. Frage, ob ich sie berühren darf. Mir ist es ein Bedürfnis. Heute. Ihnen zu zeigen, ich bin wieder da. Denke an euch. Freue mich, euch zu sehen. Mit euch an diesem Tisch zu sitzen.
16.07.2019
Wir müssen auskommen. Miteinander. Auch, wenn wir uns nicht verstehen. Nicht dieselbe Sprache sprechen. Nicht übereinkommen. Und doch. Meine Energie zerfließt. Wird verbraucht. Dafür. Auszuhalten. Den Konflikt auszuhalten.
17.07.2019
Sage, Josef wir passen auf. Und weiß doch gar nicht auf was. Auf was sollen wir achten? Wie sollen wir auf was reagieren? Wenn wir doch alle nicht wissen, was wie kommen wird. Wie es aussieht, wenn? Wie es sich anfühlt, wenn?
18.07.2019
Nicht zurückschauen. Nicht kämpfen. Nicht darum kämpfen, dass es vielleicht wieder so sein wird, wie es mal war. Kein Kampf. Josef. Dein Leben ist kein Kampf. Nein. Das ist es nicht. Kein Kampf. Annehmen. Mitgehen. Mit dir.
19.07.2019
Dann. Josef, mein Josef. Atmet Josef nicht mehr. Hört auf. Wird blau. Ganz blau. Uli saugt Josef ab. Ich küsse ihn. Uli bereitet die Inhalation vor. Mein Herz bleibt stehen. Josef, mein Josef. Seine Augen sind weit auf.
20.07.2019
Wir reden. Nun offen. Ganz offen. Das Kinderhospiz ist informiert. Sollte es Josef schlechter gehen. Wir es zu Hause nicht mehr allein aushalten können. Können wir jederzeit ins Kinderhospiz. Ein Bett ist frei. Für Josef.
21.07.2019
Mir laufen Tränen. Ich küsse Josef. Frage ihn, hast du gewartet, bis deine Schwester im Urlaub ist? Damit wir Zeit haben. Für dich? Für dein Sterben? Mir laufen Tränen. Josef wird ganz nass. Ich küsse ihn.
22.07.2019
Wir wissen es nicht. Wissen nicht. Wissen nicht was wir dann fühlen, denke, spüren. Wissen es nicht. Wissen nicht. Können uns nicht vorbereiten. Nicht vorfühlen. Vorspüren. Vordenken. Können nur im Moment sein.
23.07.2019
Ich trage Josef die Treppe runter. Lege ihn in seinen Kinderwagen. Uli verstaut die Absauge. Medikamente. Tee. Dann laufen wir. Meine Augen immer auf Josef gerichtet. Wir laufen und laufen. Im Laufen begreifen.
24.07.2019
Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Wir sind nicht die anderen Eltern. Ich bin müde davon. Mich zu erklären. Denke, kaum geht es Josef ein Hauch besser, verfallen wir in alte Rollen. Muster. Verabschiedet sich die Demut vor Josef.
25.07.2019
Ich traue der Ruhe nicht. Irgendwie traue ich ihr nicht. Weiß. So plötzlich wie sie kommt, geht sie auch wieder. Und hoffe. Hoffe, Josef bleibt. Wenigstens noch bis zum Geburtstag von Klara. Wenigstens.
26.07.2019
Dann. Plötzlich atmet er nicht mehr. In meinem Arm. Absaugen. Küsse. Er wird blau. Josef atmet wieder. Dann. Plötzlich. Josef hört auf. Zu atmen. Halten. Küssen. Absaugen. Halten. Josef seufzt. Laut. Atmet weiter.
27.07.2019
Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt laut. Atmet. Weiter. Ich halte Josef. Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt. Atmet. Weiter. Ich küsse. Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt laut.
28.07.2019
Josef ist stabiler. Die Situation ist stabiler. Wir sind erschöpft. Schmerzhafttraurig. Es lassen sich keine Worte finden für meinen inneren Zustand. Keine Worte. Wir reden lange. Über das Aushalten. Halten. Aushalten. Das Verorten.
29.07.2019
Ein Morgenbad, mein Josef. Ein Morgenbad. Klara ist wach. Möchte mit in die Wanne. Die Schwester lassen wir in Josefs Zimmer. Zu intim die Badesituation mit den Kindern. Es ist schön. Klara setzt ihr Taucherbrille auf.