01.03.2018
Haben wir nicht das Recht, zu sagen, wo unsere Grenzen sind? Darf jetzt jeder unsere Grenzen überschreiten? Weil Eltern mit einem schwerstkranken Kind nicht mehr mündig sind? Weil sie abhängig von Hilfen sind?
02.03.2018
Es tut uns leid, aber der Nachtdienst kommt heute nicht...Ist das für Sie in Ordnung?...Mir rutscht ein Nein raus.
03.03.2018
Die Pflegedienstleitung ist wütend auf uns. Findet, wir haben uns nicht richtig verhalten. Wir sind undankbar.
04.03.2018
Ich gehe los. Los durch diesen kalten Märztag. Mir ist heute völlig egal, ob ich jemanden treffe. Ich möchte einfach nur durch diesen Tag kommen...
05.03.2018
"...möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir den Pflegevertrag mit ihrem Sohn zum Ablauf des Monats März 2014 kündigen."...Mir schnürt es den Hals zu.
06.03.2018
Danke, dass Sie da sind. Nicht weggehen, wenn es schwierig wird. Danke.
07.03.2018
Als wir zu Hause sind, schläft Josef. Die Sonne scheint ins Wohnzimmer. Es ist schön. Frühling.
08.03.2018
Ich frage Uli, gehören wir auch dort hin? In das Kinderhospiz? Ist das der Ort für uns? Klara sagt, sie findet es gut dort.
09.03.2018
Ja, sage ich. Ja. Unerschrocken. Das ist gut, wenn sie sich nicht erschrecken, sondern sich einlassen auf Josef. Und auf uns, sagt Uli. Ja, auch auf uns.
10.03.2018
Zur Nacht brauchen wir unbedingt jemanden. Bitte. Ja, sie wird schauen, sagt die Pflegedienstleitung. Versprechen kann sie uns nichts.
11.03.2018
Josef wird langsam wach. Es ist deutlich an seiner Atmung zu hören. Es hört sich an wie Rauschen. Wie Meeresrauschen. Ich nehme Josef auf meinen Arm.
12.03.2018
Setze mich zu Josef. Er wird wach. Die Atmung so angestrengt. So gern würde ich es ihm leichter machen.
13.03.2018
Ich erwarte keine Antwort. Nur Zuhören. Aushalten. Mehr möchte ich nicht. Ruhe finden. Ruhe mit meiner Familie.
14.03.2018
Danke, höre ich mich auch noch sagen. Einatmen und Ausatmen.
15.03.2018
Darf ich das Leben dort draußen ein wenig weiter leben? Wenigstens ein bisschen? Erlaube ich es mir? Ich denke, es wird mir gut tun.
16.03.2018
Dann tauche ich wieder ein. Ein in die andere Welt. Es fühlt sich nicht real an. Trotzdem lasse ich mich darauf ein.
17.03.2018
Die Schwester klebt ein neues Pflaster zum Fixieren der Nasensonde auf Josefs Wange. Klara hat eine Blume darauf gemalt. Passend zum Frühling.
18.03.2018
Dann verabschiedet sich der große Pfleger. Sagt, ich war gern bei ihnen. Ich wünsche ihnen alles Gute. Ich bin gerührt und sage, danke.
19.03.2018
Sie sagen, man könnte denken, er ist gesund. Ja, sage ich. Das könnte man denken. Ist er nicht. Leider ist er nicht gesund.
20.03.2018
Wir sitzen zusammen. Sprechen wenig. Dann lachen wir. Die Sonne scheint doch. Heute.
21.03.2018
Josef wird wach. Seine Atmung ist ganz angestrengt. Ich inhaliere ihn. Sauge ihn ab. Nehme ihn in den Arm. Halte ihn. Spüre seine Anstrengung beim Atmen.
22.03.2018
Den Moment möchte ich festhalten. Ganz fest. Es gelingt mir nicht.
23.03.2018
Wir sitzen zusammen. Heute war ein normaler Tag. Ein schöner normaler Tag. Uli, vielleicht kann es so gehen. Ja, sagt Uli. Vielleicht.
24.03.2018
Dann schreibe ich eine Mail an Klaras Lehrerin. Frage nach einem Tag frei. Für Klara. Wollen doch alle zusammen die erste Nacht im Kinderhospiz sein.
25.03.2018
Wir werden dich beobachten, mein Josef. Dich weiter beobachten, dich halten und küssen. Das Küssen dürfen wir nicht vergessen.
26.03.2018
Wir erzählen. Klara sagt, es geht mir gut, Mama. Mach dir keine Sorgen. Gut, sage ich. Ich versuche es. Dann lachen wir. Ich mache ihr das Hörspiel an.
27.03.2018
Das Kinderhospiz ist ein guter Ort, sagt sie. Habt keine Angst. Gut, sage ich. Ich lasse die Angst einfach hier. Wir lachen.
28.03.2018
Tachycard. Tachypnoeisch. Um 5.16 Uhr. Sagt sie wirklich 5.16 Uhr? Ja. Um 5.16 Uhr hatte er eine Minute Singultus. Was ist ein Singultus, frage ich. Schluckauf. Ah, sage ich.
29.03.2018
Josef liegt auf mir. Zusammen atmen wir. Mit jedem Atemzug entspannt er sich. Das ist schön. Nur ich bin irgendwie angespannt. Immer angespannt.
30.03.2018
Ich gebe Uli den kleinen Josef. Er legt ihn auf seinen Bauch. Josef entspannt sich etwas. Das ist gut. Er nickt immer kurz ein. Ich packe meine Sachen. Für das Kinderhospiz.