22MONATE
  • Was wir tun
  • Alle 22 Monate
  • Werkstatt
  • Neuigkeiten
  • Twitter
  • Instagram
22MONATE
  • Was wir tun
  • Alle 22 Monate
  • Werkstatt
  • Neuigkeiten

447 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Donnerstag, 19.02.2015

Wir machen mit Josef einen Spaziergang. Einen kleinen Spaziergang. Ich ziehe meinen Josef an. Küsse ihn. Freue mich. Josef ist zu Hause. Bei uns. Wir sind zusammen. Uli trägt die Absauge runter. Ich trage Josef.

448 | Ich bin wach. Liege im Bett.

Freitag, 20.02.2015

Unsere Entscheidungen werden in Frage gestellt. Oder sind wir fahrlässig, Uli? Haben wir nicht gut genug bedacht? Sind wir schlechte Eltern? Oder geht es um die Schwester? Um die Angst? Was ist, wenn Josef nicht mehr atmet?

449 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Samstag, 21.02.2015

Heute sind wir nicht unter Beobachtung. Das fühlt sich gut an. Wie Urlaub. Urlaub von den fremden Menschen in unserer Wohnung. Urlaub von Bewertungen. Von Rechtfertigungen. Diskussionen. Erklärungen. Antworten müssen.

450 | Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr.

Sonntag, 22.02.2015

Josef schläft auf meinen Knien ein. Ich bleibe sitzen. Schaue aus dem Fenster. Auf den Hof. So ist das mit Josef. Im Hier bleiben. Nicht aufspringen können. Etwas tun. Was soll ich auch immer tun? Ist es nicht wichtig, hier zu bleiben?

451 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Montag, 23.02.2015

Ich bin bei Josef. Er wird wach. Ich inhaliere. Sauge ab. Nehme ihn aus seinem Bett. Lege ihn mir über meine Knie. Helfe ihm beim Atmen. Josef streckt sich. Fühlt sich unwohl. Ich nehme ihn auf den Arm. Halte ihn.

452 | Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr.

Dienstag, 24.02.2015

Ich verschließe meine Augen. Innerlich. Vor der Realität. Und wünsche es mir doch so sehr. Dass Josef stabil ist. Dass Uli arbeiten kann. Ich. Vielleicht auch. Es sich irgendwie. Wie auch immer. Normalisiert. Das wäre so schön.

453 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Mittwoch, 25.02.2015

Uli und ich. Sprechen mit der Schwester über die Krampfanfälle. Über den Notfallplan. Sagen, wir wollen keine Reanimation. Keinen Notarzt. Es steht so in der Empfehlung für das Verhalten in Notfallsituationen. Die Schwester ist still.

454 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Donnerstag, 26.02.2015

Sobald die Schwester unsere Wohnung betritt, nehme ich eine Rolle ein. Die Rolle der pflegenden Mutter. Ich lote genau aus, was ich wie sagen darf. Bin kontrolliert. Weine nicht im Beisein der Schwestern.

455 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Freitag, 27.02.2015

Ich nehme ihn. Küsse Josef. Guten Morgen, mein Bär. Wie schön es ist. Ihn zu spüren. Seinen Körper. Seine Wärme. Seine Atmung. Wie schön du doch bist, mein Josef.

456 | Der Wecker klingelt. Um 7.00 Uhr.

Samstag, 28.02.2015

Da ist er. Der Moment. In dem ich glücklich bin. Mich ein tiefes Glücksgefühl durchströmt. Mir laufen Tränen. Ich küsse Josefs Kopf. Halte seine Hände. Atme mit ihm. Zusammen. Einatmen und Ausatmen.

457 | Um 7.00 Uhr klingelt der Wecker.

Sonntag, 01.03.2015

Wir setzen uns zu Josef. Auf das Sofa der Pflegekräfte. Das Pflegekräftesofa. So fühlt es sich an. Weil der Raum nicht mehr wirklich zu uns gehört. Nur halb oder viertel. Es ist das Josefpflegezimmer.

458 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Montag, 02.03.2015

Alles müssen wir bedenken. Alles. Josef, mein Josef. Zum Glück nur Bauchweh. Zum Glück nur Bauchweh und keine ernste Krise. Josef schläft ein. Ganz erschöpft.

459 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Dienstag, 03.03.2015

Josef liegt in meinem Arm. Plötzlich hält sein Atem an. Mein Herz rast. Ich sauge Josef ab. Inhaliere ihn. Josef atmet. Weiter. Ich rufe nach Uli. Er kommt. Nimmt Josef.

460 | Vor dem Weckerklingeln bin ich wach.

Mittwoch, 04.03.2015

Die Schwester sagt, was ist, wenn ihr nicht da seid? Ihr nicht erreichbar seid? Das SAPV-Team nicht erreichbar ist? Darf ich dann den Notarzt holen? Das wollen wir nicht, sage ich. Das möchte ich Josef nicht antun.

461 | Um 6.30 Uhr werde ich wach.

Donnerstag, 05.03.2015

Die Schwester wirkt angestrengt. Ich frage, was los ist. Sie sagt, Josef war plötzlich obstruktiv. Hat keine Luft mehr bekommen. Sie hat ihn abgesaugt. Inhaliert. Jetzt geht es einigermaßen. Es kam einfach aus dem Nichts, sagt sie.

462 | Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr.

Freitag, 06.03.2015

Nicht mit und nicht ohne, denke ich. Wenn etwas ist mit Josef, brauche ich die Schwester. Wenn er stabil ist, dann nicht. Dann möchte ich mit ihm sein. Ihn bei mir haben. Er ist doch mein Josef. Mein Kind. Und so viel Zeit haben wir nicht.

463 | Der Wecker klingelt. Es ist 7.00 Uhr.

Samstag, 07.03.2015

Klara weiß gar nicht mehr, welche Schwester in der Nacht da ist. Grenzt sich ab. Sagt ihrem Bruder nur kurz guten Morgen. Winkt ihm zu, wenn wir ihr aus seinem Zimmer winken. Das reicht ja auch. Sie muss ja nicht.

464 | Um 7.00 Uhr klingelt der Wecker.

Sonntag, 08.03.2015

Wenige Gäste sind da. Pfleger. Eltern. Vor einem Jahr haben wir uns das Kinderhospiz angeschaut. Vor einem Jahr. Da habe ich geweint. Hier. Vor einem Jahr waren hier noch Gäste. Die nicht mehr da sind. Gestorben sind.

465 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Montag, 09.03.2015

Wir fahren mit dem Bus und der S-Bahn. Versuchen es. Josef im Kinderwagen. Die Absauge. Im Kinderwagen. Die Wickeltasche mit den Kathetern. Medikamenten. Tee. Brei. Wir kommen gut durch. Es fällt keine Bahn aus. Ich bin angespannt.

466 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Dienstag, 10.03.2015

Inhalation alle zwei Stunden. Ein Infekt, sagt die Ärztin. Uli kommt zu uns. Wir reden lange. Über Josef. Seinen Zustand. Über das Sterben sprechen wir. Auch. Mein Herz schnürt sich zu. Das Atmen fällt mir schwer. Einatmen und Ausatmen.

467 | Um 1.20 Uhr klopft es an unserer Tür.

Mittwoch, 11.03.2015

Klara liest uns vor. Das ist schön. Ich weiß nicht mehr was. Aber. Sie liest. Die Sonne scheint in unsere Wohnung. Josef schläft. Seine Atmung wird ruhiger. An so einem Tag stirbst du nicht, Josef.

468 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Donnerstag, 12.03.2015

Ich sage, wir wollen gern an die Ostsee. Vielleicht zwei Tage. Eine Nacht. Mit dem Pflegedienst. Kann das gehen? Ja, sagt die Ärztin. Wenn Josef transportfähig ist. Fahren sie, sagt sie. Fahren sie. So lange es geht.

469 | Es klopft an der Tür. Ich bin wach.

Freitag, 13.03.2015

Ich spüre. Etwas verändert sich. Ganz deutlich spüre ich die Veränderung. Und weiß doch nicht, was. Weiß es nicht. Spüre nur. Spüre dich, mein Josef. Weiß nicht, wo du bist.

470 | Um 7.00 Uhr klingelt der Wecker.

Samstag, 14.03.2015

Klara, denke ich. Klara ist unsere Verbindung zu dieser Welt dort draußen. Klara ist es. Wenn wir sie nicht hätten? Wenn wir sie nicht hätten? Was dann? Wo würden wir uns verorten? Wo wäre der Anker? Zu der Welt dort draußen?

471 | Um 6.40 Uhr werde ich wach.

Sonntag, 15.03.2015

Klara hat eine Zukunft. Das dürfen wir nicht vergessen. Kara hat sie. Die Zukunft. Dafür brauchen wir Platz in uns. Für ihre Zukunft. Sie zu begleiten. Sie nicht aus den Augen zu verlieren. Einatmen und Ausatmen.

472 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Montag, 16.03.2015

Dann höre ich: Anne, kommst du mal. Ja, sage ich. Ja. Josef. Mein Josef. Dreht seinen Kopf deutlich nach rechts. Immer wieder. Tränen laufen. Ich gebe ihm das Notfallmedikament. Ich halte Josef. Küsse ihn immer wieder. Möchte ihm alles abnehmen.

473 | Der Wecker klingelt. Um 6.30 Uhr.

Dienstag, 17.03.2015

Ich höre: Anne, kommst du mal? Ja, sage ich. Ja. Ich komme. Josef. Mein Josef krampft wieder. Tränen laufen. Ich gebe ihm das Notfallmedikament. Er schläft ein. Mein Josef. Die Schwester legt ihn in sein Bett.

474 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Mittwoch, 18.03.2015

Ich frage. Frage sie einfach, ob etwas ist. Nein, sagt sie. Nein. Nur. Du bist oft traurig, sagt sie. Zu mir. Ja, sage ich. Das ist manchmal so. Mit der Traurigkeit. Ich schäme mich für meine Tränen von gestern.

475 | Ich bin wach. Es ist 6.20 Uhr.

Donnerstag, 19.03.2015

Heute ist es da. Dieses Gefühl, wir haben eine Zukunft. Nun bekommt Josef einen Rehabuggy und einen Autositz. Wenn er das bekommt, Uli, dann geht es doch weiter. Dann haben wir doch eine Zukunft. Mit Josef.

476 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Freitag, 20.03.2015

Es hat nichts mit Misstrauen zu tun, sage ich. Es ist unser Kind, denke ich. Unser Josef. Nur weil er schwer krank ist, müssen wir nicht unser ganzes Leben vor allen Menschen offenlegen. Oder doch?

477 | Es ist 7.00 Uhr. Ich schalte den Wecker aus.

Samstag, 21.03.2015

Ich küsse sie auf ihren Kopf. Sage, das verstehe ich. Du darfst traurig sein, meine Klara. Du musst kein Verständnis haben. Du darfst traurig und wütend sein. Du bist doch erst 7 Jahre, denke ich. Du darfst all diese Gefühle fühlen.

478 | Der Wecker klingelt. Es ist 7.00 Uhr.

Sonntag, 22.03.2015

Dann kitzelt sie Josefs Fuß. Er reagiert nicht. Josef spürt dich trotzdem, sage ich. Meinst du wirklich, fragt sie. Ja, sage ich. Er hat eine ganz besondere Verbindung zu dir. Josef ist doch dein Bruder.

479 | Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker.

Montag, 23.03.2015

Ich nehme Josef. Sage, ich weiß. Manchmal hat er keine Körperspannung. So ist das mit unserem Josef. Wir schalten den Monitor an. Herzfrequenz 124. Sauerstoffsättigung 97. Er lebt, sage ich. Er lebt. Die Schwester sammelt sich. Innerlich.

480 | Es klopft an der Tür.

Dienstag, 24.03.2015

Um 13.00 Uhr klingelt es. Das SAPV-Team. Uli kommt dazu. Josef wird abgehört. Untersucht. Kein Infekt, sagt die Ärztin. Josef wird sterben, sagt sie. Mir laufen Tränen. Ich weiß, sage ich. Ich weiß.

481 | Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr.

Mittwoch, 25.03.2015

Wir gehen vor. Sagen, wir sind da. Wir sollen warten. Ich sage, wir können nicht im Wartezimmer warten. Josef ist schwerst krank. Jeder Infekt kann tödlich sein. Die Schwester schaut mich an. Schaut Josef an. Sagt, gut. Kommen sie mit.

Andere über uns

  • Presseschau

Vernetzen

  • Twitter
  • Instagram
  • Facebook

Newsletter und Impressum

  • Newsletter abonnieren
  • Datenschutz & Impressum
Powered by Ghost, ©2025 by 22MONATE