Tage um Tage. Wochen um Wochen. Sie fließen dahin. Wir sind behutsam in unserer zusammengezurrten Welt.
Unruhe. Schlaf. Unruhe. Fliehende Gedanken. Bilder in meinem Kopf. Jette. Ich höre Jette. Sie steht auf. Kommt zu mir. Legt sich zwischen Uli und mich. Ich küsse sie. Schaue auf die Uhr: 2.15 Uhr. Sie kuschelt sich an mich. Ihr Atem wird ruhiger. Einatmen und Ausatmen, meine Jette. Einatmen und Ausatmen.
Wir schlafen. Eng aneinander gekuschelt schlafen wir. Schlaf, meine Jette. Schlaf.
Uli ist wach. Steht auf. Es ist 7.00 Uhr. Sonntag. Jette steht mit auf. Ich falle. Falle in den Schlaf. Nur kurz. Werde wach. Stehe auf. Ziehe die Gardine auf. Es schneit. Ich öffne die Balkontür. Mit nackten Füßen gehe ich durch den Schnee. Spüre die Kälte. Gehe in das Schlafzimmer. Ziehe mir warme Socken an.
In der Wohnküche gibt es Kaffee. Uli spielt mit Jette. Memory. Guten Morgen, sage ich. Guten Morgen. Ein ruhiger kalter Wintermorgen. Ruhig. Kalt. Schnee. Klara schläft noch.
Klein ist sie geworden. Die Welt. Denke ich. Klein. Der Radius hat sich verkleinert. Ein Mikrokosmos. Herangezoomt. Die Tage. Die Wege. Die Zeit. Ausgewähltes Miteinander. Ein kurzer Spaziergang mit der Nachbarin. Nicht mehr. Kurze Gespräche beim Abholen von Jette in der Kita. Leere Kita.
Wenige Kontakte. Wenige. Freunde seit Monaten nicht gesehen. Schreiben. Lesen. Immer wieder schreiben. Gegen die Entfremdung. Die Entfernung. Schreiben. Telefonieren. Sehnsucht. Nach Begegnungen. Lachen. Zusammen lachen. Zusammensein. Sehnsucht.
Und doch ist es nicht vergleichbar. Vergleichbar mit der Josefzeit. Mit der Zeit von damals und der Welt, aus der wir geworfen waren. Jetzt fühle ich mich zusammengezurrt. Zusammengezurrte Lebenswelt.
Die Zeit fließt. Fließt dahin. Sprintet. In ihrer Gleichförmigkeit zerfließt sie. Überholt mich in der Wahrnehmung. Müsste sie nicht stehen bleiben? Die Zeit? In ihrer Gleichförmigkeit? Nein. Das tut sie nicht. Tage um Tage. Wochen um Wochen. Sie fließen dahin. Wir sind behutsam in unserer zusammengezurrten Welt.
Und doch ist sie da. Die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach was? Nach was nur? Die Risse. Die inneren Risse. Die schmerzen. Spürbar werden. Innere Risse. Sehnsucht. Unruhe. Ruhe. Tieferes Empfinden in zusammengezurrten Welten. Einatmen und Ausatmen.
Die Fahrten zur Arbeit. Die Arbeit. Die Menschen dort. Ein Geschenk. Normalität. Dankbar nicht nur zu Hause arbeiten zu dürfen. Scham. Über die Freude darüber, an der S-Bahn zu warten. Die Freude darüber, den häuslichen Radius verlassen zu dürfen. In der Arbeit zu sein. Mit Menschen sein zu dürfen. Zu lachen hinter der Maske.
Hände waschen. Desinfizieren. Maske tragen. Immer eine Maske. Das halbe Gesicht verdeckt. Ein Schutz. Die Maske. Fühle mich nackt ohne sie. Befremdlich, Gesichter ohne Maske zu sehen. Fast beschämend. Ein offenes Lächeln und gleichzeitig die Sehnsucht danach. Nach offenem Lachen und Berührungen.
Klara kommt in die Wohnküche. Wir decken den Frühstückstisch. Sind still. Uli und Jette gehen Brötchen holen. Einer dieser Wege. Wir frühstücken. Hören Radio. Sonntagsrätsel. Sonntag. Einer der zusammengezurrten Sonntage. Kuchen backen.
Spaziergang. Auf dem Rückweg. Eine Stimme. Hallo! Ein Hallo. Eine alte Frau ruft aus ihrem Fenster. Sie fragt: Können sie mir die Zeitung bitte an die Haustür bringen? Ich schaffe es nicht zum Briefkasten.
Ja, sage ich. Ja. Bringe ihr die Zeitung an die Tür. Höre, ich komme. Sie öffnet. Eine alte Frau. Ganz klein ist sie. Ganz klein. Ein Kopftuch. Pantoffeln. Sagt, ich bin über 90 Jahre. Es ist glatt draußen. Sie zeigt mir, wie sie versucht hat, die Treppe zu räumen.
Darf ich ihnen helfen, frage ich. Soll ich? Nein, sagt sie. Nein. Es wird wieder tauen. Das wird es. Ja, sage ich. Ja. Sie gibt mir eine Tafel Schokolade. Ich sage, ach. Ich brauche nicht. Doch sagt sie. Doch. Es wird tauen, sagt sie noch einmal. Irgendwann wird es tauen. Wir verabschieden uns.
Ich bin tief bewegt von dieser Begegnung. Es wird tauen, sagt sie. Ja, denke ich. Es wird tauen. Es wird sich wieder ändern. Bald. Das weiß ich. Bin dankbar für ihre Zuversicht. Tief bewegt von ihren schlauen Worten.
Warten. Dann, denke ich. Dann wird es wieder anders sein. Wird die Welt wieder größer. Anders wird sie sein. Sie bleibt nicht stehen. Nicht die Welt. Einatmen und Ausatmen.