, Zu Hause 2
Ich bin wach. Klara schläft. Ich küsse sie. Sie atmet ganz gleichmäßig. Einatmen und Ausatmen. Uli schläft. Endlich, denke ich. Endlich. Schlaf, mein Uli. Schlaf. Ich bleibe liegen. Fühle mich ganz schwer. Ruhig. Schwer. Von Schmerz durchzogen.
Er stört mich nicht. Darf bleiben. Da sein. Nur keine Veränderungen. Bitte. Keine Erschütterungen mehr. Josef, mein Josef. Können wir nicht hier bleiben? Alle zusammen? Ich fühle. Es geht nicht. Festhalten an den Momenten. Geht nicht. Oder doch? Gefühle nicht denken. Nicht wissen. Gar nichts wissen. Nur sein. Einatmen und Ausatmen. Klara wird wach. Ja, sage ich. Ja. Du darfst fernsehen. Uli wird wach.
Wir stehen auf. Zu Josef. Ich küsse ihn. Ganz kalt ist er. Ganz kalt. Seine Haut fühlt sich rau an. Nicht mehr wie Haut. Josef, mein Josef. Seine Locken. So schön.
Josef. Er ist nicht mehr da. Ich spüre es. Ist nicht mehr da. Mein Josef. Ich begreife. Berühre dich. Du bist ganz kalt. Deine Haut ganz rau. Deine Locken immer noch so schön. So schöne Locken, mein Bär. So schön.
Menschen kommen. Weniger Menschen. Wir sind ruhig. Ruhiger. Wirken gefasster. Sind es nicht. Sind nicht eingefasst in dem Leben dort draußen. Sind außerhalb. Richten uns ein im Außerhalb. Fühlen uns etwas sicherer.
Klara kommt zu uns. Ihr ist langweilig. Heute ziehen wir wieder nach Hause, sage ich. Heute wieder zu Hause. Frage, ob sie in die Schule gehen möchte? Morgen? Ja, sagt Klara. Ja. Ich rufe an. In der Schule. Sage, Klara kommt. Morgen. Gut, sagt die Lehrerin. Gut.
Uli und ich sind im Garten. Bei Josef. Im Garten. Ich packe unsere Sachen. Die Kerze brennt am Eingang für Josef. Das berührt mich. Eine Kerze nur für Josef. Im Gemeinschaftsraum brennt auch eine Kerze. Noch eine. Ein Bild von Josef. Ein Bild. Gäste sind da. Eltern. Pfleger. Schwestern.
Die Eltern. Ganz verhalten. Nicken uns zu. Wissen nicht. Ich doch auch nicht. Was weiß ich schon? Der Pfleger ist wieder da. Welch ein Glück haben wir mit ihm. Welch ein Glück. Immer wieder sage ich: Danke. Danke. Danke.
Dann sagt er, es wird Zeit, den Sarg zu schließen. In mir reißt es. Jede Veränderung. Bei jedem Schritt reißt es in mir. Zerrt es. Veränderung. Wie soll das gehen? Wie soll ich das aushalten? Jeden kleinen Schritt.
Und fühle. Fühle doch, es geht nicht anders. Es ist jetzt dran. Ich halte es aus. Werde es aushalten. Uli und ich. Küsse noch. Für Josef. Dann legen wir den Sargdeckel auf den Sarg. Tränen. Wir schrauben ihn zu. Den Sargdeckel.
Mich durchströmt ein Gefühl von Sicherheit. Ruhe und Sicherheit. Josef ist sicher. Kein Mensch mehr wird ihn berühren. Anfassen. Etwas mit ihm tun. Er ist sicher. Sicher, mein Bär. Du bist sicher. Vor all den Händen. Den Händen, die dich berührt haben. All den vielen fremden Händen.
Die Bestatterin kommt. Ist da. Der Wagen steht vor der Tür. Tränen. Der Musiktherapeut spielt auf der Gitarre. Schwestern und Pfleger kommen. Menschen, die uns kennen. Ein Spalier. Uli, der Pfleger, die Schwester und ich. Wir tragen Josef. Tragen den Sarg mit Josef. Aus dem Abschiedsraum.
Klara. Klara trägt eine Kerze. Geht voran. Zeigt uns den Weg. Mit dem Licht und der Wärme der Kerze. Da steht der Leichenwagen. Da steht er. Wir setzen den Sarg auf eine Schiene. Dann wird er in den Wagen geschoben. Tränen. Mein Körper bebt. Ich habe das Gefühl, mich aufzulösen. Jetzt.
Dann fährt er. Der Wagen mit Josef. Ich laufe hinterher. Laufe und laufe. Bis er nicht mehr zu sehen ist. Uli nimmt mich in den Arm. Die Sonne scheint. Eine Freundin kommt. Wir gehen in den Abschiedsraum. Eine Kerze steht auf dem Tisch auf dem Josef lag. Die Türen sind auf. Tränen. Ich berühre den Tisch. Lösche die Kerze. Wir sammeln alle Sachen zusammen. Ein Versuch, uns zu sammeln.
Gehen in den Gemeinschaftsraum. Essen etwas, weil doch die Hauswirtschaftsfrau gesagt hat. Was würden wir ohne sie tun? Ich lösche die Kerze im Gemeinschaftsraum. Nehme Josefs Bild mit. Uli löscht die Kerze am Eingang. Hier ist nicht mehr unser Ort. Ganz deutlich fühlen wir es. Ganz deutlich.
Zu Hause. Klara. Wir bringen sie ins Bett. Sie liest vor. Dann. Sitzen wir. Es klingelt. Wir erschrecken uns. Schrecken zusammen. Eine Nachbarin. Bringt eine Rose. Spricht ihr Beileid aus. Irgendwann gehen wir ins Bett. Schlaf.
Zuletzt aktualisiert am: 06.10.2019