Vor neun Jahren habe ich hier meinen Sohn Josef geboren. Er starb vor 7 Jahren an den Geburtsfolgen.
Es ist dunkel draußen, lieber Josef. Dunkel. Ich bin wach. Schaue auf die Uhr. Es ist 7.30 Uhr. Jette kuschelt sich an mich. Ich küsse sie. Sie sagt, Mama nicht so viel küssen. Du hast es mir versprochen. Wir lachen. Beide.
Dann stehen wir auf. Geburtstag heute. Geburtstag. Eine Kerze auf dem Kuchen. Luftschlangen. Geburtstaglieder. Tee. Kaffee. Josef, mein Josef. Neun Jahre wirst du heute. Neun Jahre. Uli bringt Jette in die Kita. Sie möchte mit den anderen Kindern Geburtstaglieder siegen. Für ihren Bruder. Sie hat allen Kindern von dir erzählt. Jette, meine Jette.
Still ist es in der Wohnung. Still. Klara ist in der Schule. Ich trinke Kaffee. Dann Tee. Ganz heiß muss er sein. Ganz heiß. Heute mache ich mich auf den Weg, mein Josef. Zu deinem Geburtsort. Seit jener Nacht vor 9 Jahren war ich nicht mehr dort. Einatmen und Ausatmen. Ich packe ein Glas ein. Teelicht dazu. Tee für mich in die Thermoskanne.
Der Oberarzt hat mir geschrieben. Ich darf kommen. Dann gehe ich los. Bus. U-Bahn. Bus. Es dauert lang. Ein langer Weg. Die Menschen um mich nehme ich kaum wahr.
Mein Herz schlägt schnell. Ist das Angst? Angst wovor? Den Gefühlen? Vor dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit? Dem Schmerz? Von damals? Einatmen und Ausatmen.
Ich bin da. Steige aus dem Bus. Wechsele die Straßenseite. Kaufe eine Blume. Gehe auf das Klinikgelände. Es wirkt viel kleiner als in meiner Erinnerung. Ich laufe. Spüre die kalte Luft. Mir ist kalt.
Mein Herz beruhigt sich. Eine Frau grüßt mich. Sie lächelt. Wir kennen uns nicht.
Geburtshilfe steht auf dem Schild. Rechts rum. Damals war es anders. Ein anderer Eingang. Ich folge dem Pfeil. Gehe in das Haus. Erkenne nichts. Ich klingele. Auf der Klingel steht Kreißsaal. Ich bin ganz ruhig.
Eine Frau öffnet mir. Ich sage, ich bin Frau Neustadt. Vor neun Jahren habe ich hier meinen Sohn Josef geboren. Er starb vor 7 Jahren an den Geburtsfolgen. Sie hört mir zu. Bittet mich rein. Scheint zu verstehen. Fragt nicht nach. Nur, was brauchen sie. Jetzt in der Situation.
Ich sage, ich möchte gern in den Kreißsaal. Geht das. Ja, sagt sie. Ja. Sie sagt, ja. Ich hatte mit einem Nein gerechnet. Mit Unverständnis. Ich bin ganz ruhig. Mein Herz weitet sich. Wir gehen an dem Tresen vorbei. Ich erkenne ihn. Eine Kristalllampe auf dem Tisch.
Es ist dunkel. Irgendwie dunkel. So war es damals auch. Dunkel. Der Kreißsaal. Eine Wanne steht drin. Die gab es damals nicht. Ganz klein wirkt der Saal. Ganz klein. Es ist alles viel kleiner als damals.
Die Frau fragt, ob es ein Gespräch mit den Ärzten gab. Ja, sage ich. Ja. Sie sagt, es war bestimmt schwer. Ja, sage ich. Ja. Einatmen und Ausatmen. Sie holt mich ab. Mit ihren Worten.
Mein Herz weitet sich. Lässt zu. Lässt die Angst los. Die Ohnmacht. Hilflosigkeit. Die Gefühle gehören zu damals. Zu der Zeit damals. Zum 30.11.2013.
Ich frage nach dem ehemaligen Eingang. Sie sagt, es ist jetzt nur noch ein Eingang für das Personal. Wenn ich möchte kann ich dort entlang gehen. Ja, sage ich. Ja.
Gehe den Weg entlang, von dem aus wir damals gekommen sind. Josef, mein Josef. Gehe hinaus. Andersherum. In die Welt, mein Josef. Trage dich und unser Schicksal hinaus. Gebe uns Freiraum. Himmel. Weite. Josef, mein Josef.
Ich bedanke mich bei der Frau. Sie fragt nach deinem Namen, mein Josef. Sie wird die Blume ins Wasser stellen und einen Zettel mit deinem Namen schreiben. Damit jeder weiß. Jeder weiß und sehen kann. Ich sage, Grüße an den Oberarzt. Ja, sagt sie. Ja.
Ich stehe vor Klinik. Gehe links entlang in den angrenzenden Wald. Auf dem Weg befindet sich rechts ein Haus. Die Fenster stehen offen. Sambamusik strömt hinaus. Ich lächele. Geburtstagssamba, mein Josef. Ich gehe durch den Wald. Zum Fluss.
Der Himmel öffnet sich. Die Sonne zeigt sich kurz. Josef, mein Josef. Frieden in mir. Ich wurde heute so reich beschenkt.