Vor zwei Tagen durfte ich sie sehen. Bei ihr sein. Auf der Palliativstation.
Ich höre Stimmen aus der Küche. Bin müde. So müde. Jette steht auf. Geht in die Küche. Die Tür klappert. Klara geht los, denke ich. Los in die Schule. Ich schlafe ein. Helle Träume. Sonne. Licht. Meeresrauschen. Ich schrecke auf.
Es ist 7.30 Uhr. Schlaftrunken gehe ich in die Küche. Uli und Jette sitzen am Tisch. Jette isst Müsli. Uli steht auf. Kocht frischen Kaffee.
Guten Morgen, meine Sonne, sage ich.
Guten Morgen, meine Mama, sagt Jette.
Es ist hell. Die Sonne scheint. Ein Frühlingstag im November. Frühling im November. Die letzten Tage. Bewegend. Fließend. Schmerzhaft. Traurig. Momentan Ruhe. Müdigkeit. Erschöpfung. Einatmen und Ausatmen. Josef ganz bei mir. So viel gelernt von ihm. Josef, mein Josef.
Meine Freundin. Stirbt. Nimmt mich mit. Schon seit Wochen, Monaten, seit über einem Jahr. Von Josef gelernt. Sich mitnehmen lassen. Einlassen. Zulassen. Dann hält sich der Abschied besser aus. Sanfter. Tag für Tag. Abschied. Freude auch. Glück um. Um die gemeinsame Zeit. Das Miteinander. Kennenlernen ohne den Anspruch auf Ewigkeit. Ohne Anspruch.
Ist nicht wichtig. Das Wollen und Wünschen und Ringen um. Um was? Um was nur? Und dann doch. Die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein paar Stunden mehr, Tage, Monate. Auf was? Kenne diese Hoffnung. Das Ringen. Die Hoffnung. Sie schleicht sich ein. Und doch. Geht nicht ohne. Die tröstende Hoffnung. Einatmen und Ausatmen.
Vor zwei Tagen durfte ich sie sehen. Bei ihr sein. Auf der Palliativstation. Wir waren fast draußen. Im Flur stand ihr Bett. Ganz eingemummelt war sie. Schwebend. Nicht mehr hier. Oder doch?
Schwebst du schon? Du schwebst, oder? Dann ein Ja oder Nein. Verbindung. Ein kurzes Berühren mit Worten. Dann. Schweben. Geschlossene Augen. Anstrengung. Im Hier-und-Jetzt zu sein. In der Berührung.
Gemeinsam Bilder angeschaut. Mit ihrer Familie. Gelacht. Geschlossene Augen. Ein Ja. Eine Berührung. Schöne Bilder. Von ihr. Den Urlauben. Feiern. Gelacht. Ein wenig. Schön war das. Schön.
Verabschiedung. Bis dann, sage ich. Bis dann. Sie winkt. Kurze Berührung. Mit soviel Energie im Hier-und-Jetzt. Winken. Mir zuwinken. Ich winke zurück. Bis dann.
Ich laufe. Laufe und laufe. Im Laufen begreifen. Es ist grau. Herbst. Es duftet nach Laub. Einatmen und Ausatmen. Ruhe in mir. Traurigkeit. Schmerz. Keine Schwere. Kein schwerer Schmerz. Der nicht.
Ich steige in die U-Bahn. Umsteigen am Hermannplatz. Hier haben wir uns getroffen. Oft. Karstadt. Ganz oben saßen wir. Kaffee getrunken. Kuchen gegessen. Gelacht. Wir haben viel gelacht. Karstadt. Hermannplatz. Das verbinde ich mit ihr. Diesen Ort. Einatmen und Ausatmen.
Zu Hause. Dann. Viel später. Tränen. Leise Tränen. Viele Tränen. Fließende Tränen. Fließender Schmerz. Heute scheint die Sonne. Ich denke an sie. Noch ein Frühlingstag für dich, denke ich. Ein Frühlingstag für dich im November. Nur für dich.
Wie gut es mir tut. An sie zu denken. Grüße zu schicken. Jeden Morgen. Mich zuzuwenden. Von Josef gelernt. Das Zuwenden. Halten. Aushalten. Wie gut es tut. Sich zuzuwenden.
Die Traurigkeit. Die Schmerzen. Lassen sich besser tragen. Sie fließen. Reißen nicht mit. Reißen mich nicht davon. Ich halte. Halte aus. Darauf vertraue ich, mein Josef. Darauf vertraue ich. Einatmen und Ausatmen.
Ein Frühlingstag im November. Ich gehe auf den Balkon. Mit meinem Kaffee in der Hand. Er ist heiß. Der Kaffee. Tut gut. Kinder kommen auf den Schulhof. Freuen sich über den Frühlingstag im November. Sie wirken ganz leicht. Ein leichter Sonnentag, denke ich.
Ich gehe in die Wohnküche. Jette hat ihr Müsli aufgegessen. Kommt mir entgegen. Drückt mich. Ich nehme sie auf den Arm. Küsse, meine Jette. Immer wieder Küsse. Einatmen und Ausatmen.