, Zu Hause 2
Um 7.30 Uhr werde ich wach. Ich stehe auf. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer. Mir ist etwas schwindelig. Ich setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Klara schläft. Sie sieht ganz friedlich aus. Wie sie dort liegt. In Josefs Bett. Ganz eingekuschelt. Mit ihrem großen Kuscheltierhund.
Ich schließe vorsichtig die Tür. Sie knarrt etwas. Mit meinem Kaffee setze ich mich auf den Balkon. Es ist schön. Die Sonne scheint. Schöne Maitage. Alles neu macht der Mai. Alles neu. Uli kommt. Unser Besuch. Auch.
Wir reden. Ein wenig. Uli bereitet Brote vor. Ich rufe im Kinderhospiz an. Josef, sagt die Schwester. Hatte wieder Sauerstoffsättigungsabfälle. Hat gekrampft. Notfallmedikamente bekommen. Viel Sekret. Kein Fieber. Okay, sage ich. Okay. Einatmen und Ausatmen.
Mir laufen Tränen. Schmerz. Herzschmerz. Annehmschmerz. Annehmen. Dass. Dass es Josef schlechter geht. Immer schlechter. Er sich verändert. Sich ablöst. Von dieser Welt. Wie weh das tut. Wie weh. Wir können nichts tun. Außer. Ihn halten. Lieben. Küssen. Bei uns haben. Da sein.
Manchmal stockt mir der Atem. Manchmal bleibt mir das Herz stehen. Manchmal erstarre ich. Dann muss ich mich bewegen. In Bewegung kommen. Atmen. Einatmen und Ausatmen. Für die Kinder. Für Uli. Für mich.
Wir essen unsere Brote. Auf dem Balkon. Trinken Kaffee. Tee. Klara wird wach. Fährt das Bett runter. Sie ist glücklich. Das ist gut. Ich küsse sie. Auf ihren Kopf. Wir räumen das Geschirr zusammen.
Es klingelt. Der Caterer. Die Sachen werden runtergetragen. Nach einer Stunde sieht unser Wohnzimmer wieder aus wie vorher. Dann gehen wir zu Josef. In das Kinderhospiz. Josef, mein Josef. Er sitzt frisch gebadet in seinem Therapiestuhl. Ich nehme ihn in den Arm. Halte ihn. Küsse seinen kleinen Leberfleck. An seinem Hals.
Wir setzen uns in den Gemeinschaftsraum. Das Frühstück ist schon beendet. Wenige Gäste sind noch da. Ich setze mich mit Josef in den großen Sessel. Direkt am Fenster. Lege mir Josef auf meine Brust. Wir atmen zusammen. Einatmen und Ausatmen, mein Josef. Einatmen und Ausatmen.
Klara spielt mit den Geschwisterkindern im Garten. Sie spielen Verstecken. Oder etwas anderes? Sie erzählen es uns nicht. Sind in ihrer eigenen Welt. Die nur hier funktioniert. Nur hier. Nicht bei uns zu Hause. Nur hier im Kinderhospiz.
Die Eltern von den Geschwisterkindern sind mit ihrer Tochter bei uns. Im Gemeinschaftsraum. Eine gute Zeit hat ihre Tochter gerade, sagen sie. Sie lächelt manchmal. Ich freue mich. Frage, ob ich sie berühren darf. Ja, sagt die Mama. Ja. Ich berühre ihre Hand. Ihre kleine, schlanke Hand. Die ganz nach innen gebeugt ist. Spreche mit ihr. Sage, dass ich mich freue.
Josef schläft ein. Auf mir. Ich lege ihn in seinen Kinderwagen. Schalte den Monitor an. Wir sagen der Schwester Bescheid. Gehen in unsere Wohnung. Räumen auf. Fegen. Wischen. Putzen.
Dann gehen wir Burger essen. Mit unserem Besuch. Die Sonne scheint. Es ist schön. Ein schöner Maitag. Ich bin froh. Froh um das Fest.
Auch wenn es mir gezeigt hat. Deutlich gezeigt hat, wie sehr sich der Zustand von Josef verändert hat. In dem letzten halben Jahr. Wie sehr. Wie ein Spiegel war dieses Fest. Wie ein Spiegel. Einatmen und Ausatmen.
Unser Besuch verabschiedet sich. Wir gehen zu Josef. Ich halte Josef. Trage ihn. In den Garten. In den Gemeinschaftsraum. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Wir sind still. Miteinander.
Zum Abendessen kommen die Gäste. Pfleger. Schwestern. Eltern. Ein Gast wird gebracht. Über das Wochenende war er zu Hause. Wir erzählen. Lachen ein wenig. Sind dann ernst. Wieder. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab.
Ich lege Josef auf meine Brust. Wir atmen zusammen. Einatmen und Ausatmen, mein Josef. Einatmen und Ausatmen. Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Ein Unterhemd von mir dazu. Uli sagt der Schwester Bescheid.
Dann gehen wir in unsere Wohnung. Mit Klara. Zusammen schauen wir fern. Ich bringe Klara in Josefs Bett. Lege mich zu ihr. Es ist sehr gemütlich. Das Bett. Lese ihr vor. Klara schläft ein. Sie atmet ganz gleichmäßig. Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Ich stehe auf. Mache ihr nicht das Hörspiel an. Schließe leise die Tür.
Irgendwann gehen wir ins Bett. Irgendwann. Haben wir uns zu viel vorgenommen, Uli? Mit Josef? Schafft er es? Die geplanten Urlaube? Planen wir an Josef vorbei? Uli nimmt mich in den Arm. Einatmen und Ausatmen. Irgendwann. Schlaf.
Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021