Zum Ende des Monats nimmst du uns mit. In die Höhe und Tiefe. In die Weite und Nähe. Wir sind da. Sind bei dir. Halten dich, mein Josef. Dich auch, Klara. Dich auch.
Samstag, 30.05.2015
Die Atmung von Josef verändert sich. Plötzlich. Inhalation. Absaugen. Herzfrequenz 160. Sauerstoffsättigung 92. Temperatur 38,9. Ich gebe Josef ein Schmerzmedikament. Lege ihn mir auf meine Brust. Wir atmen. Zusammen. Irgendwann wird es besser.
Sonntag, 31.05.2015
Der Monitor piept. Die Sauerstoffsättigung ist bei 83. Ich schalte den Monitor auf Pause. Damit das Piepen aufhört. Es ist ein metallisches lautes Piepen. Fordernd. Unangenehm. Ich drehe Josef auf den Bauch. Ganz vorsichtig.
Montag, 01.06.2015
Ich sehe fahl aus. Müde und fahl. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Dann. Laufen Tränen. Dann. Sind die Gefühle nachgekommen. Von gestern.
Dienstag, 02.06.2015
Die Ärztin sagt, Josef hört sich besser an. Viel besser. Möchte noch bei ihnen bleiben. Sie lächelt. Ja, sage ich. Ja. Gleichzeitig wird es mir schwer. Bei dem Gedanken und Gefühl. Dass er sich von uns entfernt. Fast nicht mehr bei uns war.
Mittwoch, 03.06.2015
Klara, meine Klara. Sie ist die einzige mit einem normalen Leben. Nebenher. Ist unsere Verbindung nach draußen. Klara, unsere Klara. Wir müssen auf sie aufpassen, sage ich zu Uli. Ja, sagt Uli. Ja.
Donnerstag, 04.06.2015
Aber, sagt die Schwester. Josef könnte sich noch entwickeln. Einatmen und Ausatmen. Wir haben uns entschieden, sage ich. Es ist gut so wie es ist. Wenn du meinst, sagt die Schwester. Wenn du meinst. Ich lasse sie allein.
Freitag, 05.06.2015
Unseren Konflikt spricht sie nicht an. Nicht, wenn Uli dabei ist. Dann sagt sie nicht, was wir anders und besser machen sollten. Wie es richtig geht mit Josef. Mit einem schwerstkranken Kind.
Samstag, 06.06.2015
Rufe Uli an. Er sagt, sie sind im Kinderhospiz. Im Garten. Ich bin da. Freue mich. Nehme Josef in den Arm Küsse ihn. Klara spielt mit den Geschwisterkindern. Sie bewerfen sich mit Wasserbomben. Gäste sind im Garten. Schwestern. Pfleger. Eltern.
Sonntag, 07.06.2015
Ich hätte ihr gern noch gesagt, dass ich dankbar bin. Dass ich weiß, wir können uns auf sie verlassen. Ihr vertrauen. Das ist wertvoll. Nicht selbstverständlich. Unser gegenseitiges Vertrauen.
Montag, 08.06.2015
Das Telefon klingelt. Die Schwester. Josef ist zyanotisch geworden. Ganz plötzlich. Sie hat ihn abgesaugt. Inhaliert. Herzfrequenz 150. Sauerstoffsättigung 95. Ich komme, sage ich. Komme.
Dienstag, 09.06.2015
Josef, mein Josef. Lebst du noch weiter? Oder wirst du sterben? Heute? Morgen? Das Leben läuft weiter und bleibt gleichzeitig stehen, mein Josef. So ist das. So ist das gerade mit uns. Was soll ich da fühlen?
Mittwoch, 10.06.2015
Klara kommt. Sie kuschelt sich an mich. Weint. Sie schluchzt und weint. Ich nehme sie auf meinen Arm. Setze mich mit ihr. Halte sie. Frage, was los ist. Sie sagt, sie hat geträumt. Geträumt, Josef stirbt. Ich küsse sie.
Donnerstag, 11.06.2015
Wir reden. Ein wenig. Über dies und das. Es fällt mir schwer. Manchmal. Heute. Über dies und das zu sprechen. Weil ich doch alle Kraft brauche. Um mich zusammenzuhalten. Für Josef. Für Klara. Für Uli. Für mich.
Freitag, 12.06.2015
Dann sagt sie, ich werde nicht mehr kommen. Ich traue es mir auf Dauer nicht zu. Mit Josef. Gut, sage ich. Gut. Danke, sage ich auch. Danke für deine Offenheit. Sie räumt auf. Spült. Wechselt aus. Zieht auf.
Samstag, 13.06.2015
Josef, mein Josef. Wird blau. Atmet nicht mehr. Josef, mein Josef. Atmen nicht vergessen. Uli saugt Josef ab. Inhaliert. Dann atmet er wieder. Mit einem lauten Seufzer. Er ist angespannt. Sein Körper schreit. Temperatur 39,6.
Sonntag, 14.06.2015
Josef. Josef liegt in meinem Arm. Schlummert immer wieder ein. Ich küsse seinen Kopf. Seinen Hals. Seinen kleinen Leberfleck hinter seinem Ohr. Bin glücklich. Gerade. Über diese leichten Stunden.
Montag, 15.06.2015
Josef, mein Josef. In meinem Arm. Ich versuche meinen Ärger wegzuschicken. Wegzuatmen. Weg. Weg. Weg. Es gelingt mir nicht wirklich. Und ich ärgere mich darüber, mich zu ärgern.
Dienstag, 16.06.2015
Das Fragen: Was kann ich für euch tun? Wie kann ich euch unterstützen? Was braucht ihr? Wahrscheinlich ist es das. Ich habe das Gefühl, Josef und wir werden gesehen. So wie es mit uns ist. Ich habe keine Sorge um meine Grenzen.
Mittwoch, 17.06.2015
Auf dem Rückweg gehen wir in den Kinderhospizgarten. Wenige Gäste sind da. Schwestern. Pfleger. Eltern. Die Stimmung ist bedrückt. Ein Kind befindet sich im Sterben, sagt die Schwester. Wir kennen es. Kennen es gut.
Donnerstag, 18.06.2015
Gehe kurz raus. Gehe zum Kinderhospiz. Eine Kerze brennt nicht. Im Foyer. Es lebt, denke ich. Überlege. Soll ich hochgehen? Fragen? Oder nicht? Entscheide mich dagegen.
Freitag, 19.06.2015
Uli holt Klara ab. Von der Musiktherapie. Sie kommen wieder. Sagen. Die Kerze brennt. Josef wird wach. Ich zünde eine Kerze an. Wir sind still. Dann reden wir. Wir Vier. Über das Kind. Das Sterben. Tränen. Auch Tränen.
Samstag, 20.06.2015
Uli und ich. Wir reden. Leise. Über das Kind. Weinen. Lachen. Auch. Können uns gar nicht vorstellen, wie es sein soll. Ohne. Ihm nicht mehr zu begegnen. Das Kind nicht mehr zu hören. Im Kinderhospiz. Stille. Da wird Stille sein. Stille.
Sonntag, 21.06.2015
Josef in meinem Arm. Ich küsse ihn. Er ist gar nicht wirklich da, denke ich. Schwebt. Seine Augen sind halb offen oder geschlossen. Ich küsse und küsse ihn. Wir fahren wieder los. Die kleine Katze auf Klaras Schoß. Klara ist glücklich.
Montag, 22.06.2015
Es klingelt. Die Schwester. Ich kenne sie nicht. Sie ist als Springer bei uns. Ich frage sie, was sie weiß. Was sie braucht für ihren Dienst. Heute bei uns. Sie erzählt. Kurz. Die Diagnosen. Sonst hofft sie auf uns. Weiß, dass wir da sind.
Dienstag, 23.06.2015
Die kleine Katze. Was sie alles kann. Trinken. Laufen. Rennen. Schnurren. Atmen ohne Anstrengung. Das kann sie alles. Sie ist 6 Wochen alt. Josef kann das nicht. Kann das alles nicht, was die Katze kann.
Mittwoch, 24.06.2015
Kein Infekt, sagt die Ärztin. Ich weiß, was es bedeutet. Kein Infekt. Das ist der Sterbeprozess. Das weiß ich. Es schmerzt. Tief. Wir können nicht viel machen. Nur inhalieren. Absaugen. Flüssigkeit geben. Josef beobachten. Bei ihm sein.
Donnerstag, 25.06.2015
Die Pflegedienstleitung sagt, in der anderen Familie sieht es noch schlechter aus. Einatmen und Ausatmen. Gut, sage ich gut. In meinem Kopf kreist es. Schlecht. Schlechter. Am schlechtesten. Sterbend. Sterbender. Am sterbendsten.
Freitag, 26.06.2015
Das Telefon klingelt. Die Pflegedienstleitung. Sagt, heute kann die Schwester nicht kommen. Uli, das haben wir auch schon gemerkt. Die Pflegedienstleitung, Sonntag kann sie vielleicht einen Pfleger schicken.
Samstag, 27.06.2015
Um 15.30 Uhr klingelt mein Telefon. Uli. Sagt, Josef. Ihm geht es schlecht. Ganz plötzlich. Bitte komm. Das SAPV-Team hat er schon angerufen. Ich komme, sage ich. Mein Herz überschlägt sich. Ich renne. Aus dem Seminar. Zum Bahnhof.
Sonntag, 28.06.2015
Josef wird abgehört. Die Ärztin sagt, sie denkt, er wird sterben. In den nächsten Stunden. Ob wir uns das schon gedacht hätten, fragt sie. Nein, sage ich. Ich fühle es nicht. Tränen.
Montag, 29.06.2015
Wenn Josef nicht mehr atmet. Ich mit ihm allein bin, werde ich ihn reanimieren. Den Notarzt holen. Einatmen und Ausatmen. Das wollen wir nicht, sage ich. Wir wollen es nicht. Das ist mir egal, sagt die Schwester.