31.03.2018
Um den großen Tisch stehen Rollstühle, Therapiestühle und Betten. Die Eltern und Pfleger sitzen am Tisch.
01.04.2018
Nach und nach kommen die anderen Gäste, Pflegekräfte und Eltern. Kinder in Rollstühlen werden vor das Fenster gestellt. Schläuche aus Bäuchen. Flüssigkeiten durch die Schläuche in die Bäuche.
02.04.2018
Einatmen und Ausatmen. So fühlt es sich also an. In einem Kinderhospiz. Nicht allein sein. Andere Kinder. Andere Eltern. Warmherzige Schwestern und Pfleger.
03.04.2018
Klara kommt mir entgegen. Wo warst du nur, fragt sie. Ich dachte, du hast mich vergessen, sagt sie auch. Nein, meine Klara. Ich vergesse dich nicht. Nie vergesse ich dich!
04.04.2018
Ich gehe ins Bad. Wasche mein Gesicht. Schaue in den Spiegel. Ein trotziges Gesicht. Und trotzdem, denke ich. Trotzdem leben wir.
05.04.2018
Ich sage zu Uli, Klara fühlt sich wohl. Lange habe ich sie nicht mehr so leicht erlebt. Sie schwebt durch die Räume. Im Kinderhospiz.
06.04.2018
Zusammen gehen wir zu Josef. Am Gemeinschaftsraum vorbei. Dann rechts. Ich höre Josef schon von weitem atmen. Er ist wach und liegt im Arm der Schwester.
07.04.2018
Ich wünsche mir, dass sie Josef so nehmen wie er ist. Dass sie uns unterstützen in unserem Leben. Damit wir ein gutes Leben haben mit unserem Josef.
08.04.2018
Hier gehören wir hin, mein lieber Josef. Zu den Kindern mit den Schläuchen in den Bäuchen und Nasen.
11.04.2018
Josef, jetzt erst recht. Du wirst ein schönes Leben haben. Wir werden dafür sorgen. Schön soll es sein! Wir bleiben bei dir. Egal was kommt!
12.04.2018
Irgendwie war ich doch noch nicht bereit für einen Ausflug, merke ich. Wir essen unser Eis. Ich versuche die anderen Menschen auszublenden. Mit ihren gesunden Kindern.
13.04.2018
Wir plaudern. Keine ernsten Gespräche bitte. Nur da sein und plaudern. Wir haben das Kontingent für ernste Gespräche in dieser Woche schon aufgebraucht.
14.04.2018
Es ist schön. In diesem Garten. Ganz behütet. Zu sein. Keine erschreckten Blicke. Sitzen. Josef halten. Milch durch den Nasenschlauch fließen lassen. In den Himmel schauen.
15.04.2018
Ich stehe mit meinem Kaffee an seinem Bett. Mir laufen die Tränen. So schön bist du Josef. Und so krank.
16.04.2018
Einatmen und Ausatmen.
17.04.2018
Das wird gut. Wir werden die Pflegekräfte von unserem Wunsch überzeugen. Dem Wunsch nach dem besten aller möglichen Leben für Josef und uns.
18.04.2018
Die Pflegedienstleitung antwortet, gut. Ich schreibe den Dienstplan und ab dem 6.5. können sie nach Hause. Ich freue mich. Ich freue mich. Ich freue mich.
19.04.2018
Ich verlange ja nicht, dass es besser wird. Es soll nur so bleiben. Das wäre schön. Ja, sagt Uli. Das wäre schön. Klara springt und hüpft neben uns. So viel Leben in ihr. Welch ein Glück.
20.04.2018
Am Nachmittag kommen Eltern dazu. Ihr Kind starb vor drei Wochen. Hier...Immer wieder zieht es sie hierher. Sie wissen auch nicht, sagen sie. Sie laufen los. Und sind dann hier.
21.04.2018
Die Ruhe hier. Das Sich-nicht-kümmern-müssen schafft Platz. Für noch nicht Durchfühltes. Gut ist das. Anstrengend auch.
22.04.2018
Haben wir überhaupt die Zeit dazu? Zum Kämpfen? Für eine bessere Versorgung von Familien mit schwerstkranken Kindern? Haben wir überhaupt die Zeit mit Josef dafür? Und die Kraft?
23.04.2018
Es ist ein guter Morgen. Josef schläft. Liegt in seinem Bett und schläft. Herzfrequenz bei 124 und Sauerstoffsättigung bei 98. Wunderbar, denke ich.
24.04.2018
Wir sind nicht mehr wie früher, sage ich. Ja, sagt Uli. Wir sind dünnhäutiger. Die Haut ist dünner. Lass uns auf uns aufpassen. Damit die Haut nicht reißt.
25.04.2018
Die Ärztin kommt zu uns, sagt, eine Journalistin kommt heute. Fragt vorsichtig, ob wir bereit wären für ein Interview. Das Thema lautet: Kinder am Ende des Lebens. Wir sagen, ja.
26.04.2018
Josef hat sich in der Nacht stabilisiert. Er hat kein Fieber mehr. Die Atmung ist in Ordnung. Josefinordnung. Keiner weiß, was Josef hatte.
27.04.2018
So ist das. So ist das mit Josef. So oft der Schreck und die Angst. Und das Üben, damit zurechtzukommen. Einatmen und Ausatmen.
28.04.2018
Alles sieht anders aus. Nur Klaras Zimmer bleibt so. So wie es ist. Klara, unsere Konstante. An ihr orientieren wir uns. Ganz verrückt. Der Anker in der normalen Welt.
29.04.2018
Nach Hause geht es nächste Woche... Ein nächster Anlauf. Für ein Leben zu Hause. Kraft einsammeln dafür. Die nächsten Tage noch mal Kraft schöpfen. Woher auch immer.
30.04.2018
Von der Selbstverständlichkeit des Lebens mit Schläuchen, Spritzen, piepsenden Geräten, rasselnden Inhaletten und rauschenden Absaugen.
01.05.2018
Das Leben geht ja weiter. Dort draußen. Will gelebt werden, das Leben. Auch außerhalb des Kinderhospizes.
02.05.2018
Ich lasse die Milch langsam durch Josefs Nasenschlauch in seinen Magen fließen. Ganz vorsichtig und langsam. Wir sind gut eingespielt. Mein Josef und ich.
03.05.2018
Josef wird wach. Ich nehme ihn in meinen Arm. Spüre seine Atmung. Seine meeresrauschende Atmung. Halte ihn. Lege meine Hand auf seinen Kopf. Ich packe ihn ganz warm in die Decke.
04.05.2018
Ich berühre ihre Hand, spreche kurze Worte. Hallo. Schön. Dass. Du da bist. Dass ich dich kennen darf.
05.05.2018
Einatmen und Ausatmen. Die Ärztin bleibt noch eine Weile bei uns. Bleibt bei uns. Hält aus. Mit uns. Dann geht sie. Lässt uns allein.
15.08.2018
Die Ärztin. Sagt. Josef wird es hier sehr gut gehen. Sie brauchen die Zeit für sich und Klara und ihren Mann. Das schlechte Gewissen lassen sie hier. Das brauchen sie nicht. Einatmen und Ausatmen.